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Fachtagung Schulkunst

Auswertung Expertentag

1 - Kunst verändert Schule

Themenpatenschaft: Dr. Otto Seydel, Institut für Schulentwicklung Überlingen

Ausgangspunkte:
Dynamik der Selbstwirksamkeitserfahrung
Transparente und bewegliche Ordnungen der Verantwortung
Schule als Raum um Neues zu denken

Fachkommentatoren:
Bernhard Chiquet, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel
Dr. Otto Seydel, Institut für Schulentwicklung Überlingen
Dr. Angelika Tischer, Berliner Senatsverwaltung

Teilnehmer:
Eva Adelt, Schulministerium NRW
Bernhard Chiquet, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel
Stefan Hölscher, Kunstakademie Münster
Laura Kundt, Klasse Smeets, Alfred-Herrhausen-Schule
Karin Langhoop, Lehrerin am Heinrich-Herz-Berufskolleg (HHBK)
Tosca Mai, Klasse Smeets, Alfred-Herrhausen-Schule
Vera-Lisa Schneider, Schulministerium NRW
Brigitte Schorn, Arbeitsstelle Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW
Otto Seydel, Institut für Schulentwicklung Überlingen

Themenübersicht:
- Kultur und Haltung aller Beteiligten / Frage nach Output von Schule (“Wofür lernt man?”)
- Inhalte und Fähigkeiten, die außerhalb von Schulfächern liegen
- Welche Rolle spielen KünstlerInnen in partizipatorischen Prozessen?
- Gelingensbedingungen

Otto Seydel eröffnet die Diskussion mit seiner persönlichen Motivation. Diese bestehe darin, einem kritischen Kulturverlust durch eine einseitige Konzentration auf die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch, u.a. ausgelöst von Pisa-Ergebnissen, entgegenzuwirken. Durch diese Gewichtung gehen seiner Meinung nach wesentliche bildungstragende Prozesse an der Schule verloren.
Er sieht in der aktiven Beteiligung von Künstlern eine Möglichkeit, das bestehende Schulsystem auf eine produktive Weise zu „stören“, die es letztendlich verbessern kann und mit der man die Frage danach, wofür man für sich selbst lernt, sinnvoll beantworten kann.

Angelika Tischer fragt in dieser Richtung nach dem Output von Schule, sie fragt:
"Was ist ein echtes Ergebnis? Ist eigentlich das, was man lernen kann durch partizipativ beförderte Projekte, etwas, was den Output von Schule darstellen kann? Solange das immer noch das daneben ist, das Extra, das man gerade noch so aushalten kann solange das Eigentliche wichtig genug genommen wird… Solange, finde ich, läuft irgendetwas noch grundsätzlich verkehrt. Was ist eigentlich der Output von Schule? Was wollen wir als Output von Schule?"

Bei der Auseinandersetzung mit dieser Sinngebung wird diskutiert, wie der Wert der Arbeit in der Schule gemessen wird. Die übliche Weise die Arbeit eines Schülers zu bewerten, wäre durch Noten. Also Auswendiglernen und Abfragen, meist auf der Grundlage von "Ich mache etwas für eine Note" und somit mit der Währung "Note" als Erfolgsmesser.
Im Falle eines Projekts wird auch oft nach einem finanziellen Mehrwert gefragt, bei dem das Ergebnis ökonomisch betrachtet wird, die Währung also Geld ist.
Diesen beiden Betrachtungsweisen für das Ergebnis eines Projekts steht der Erfahrungsgewinn als Ergebnis eines Projekts gegenüber. Diesen kann man auch als Entfaltung der Persönlichkeit beschreiben; wenn ein Schüler nicht für eine Note arbeitet, sondern empfindet:

,,Ich hatte das Gefühl, wir machen etwas für die Ewigkeit." - Laura Kundt

Um den Erkenntnisgewinn als einen Mehrwert resultierend aus solchen partizipatorischen Projekten weiter zu illustrieren wird der Perspektivwechsel genannt, bei dem die Schüler sich bei der Planung eines Projekts in andere Menschen hineinversetzen.

Ein weiterer Erkenntnisgewinn ist der Respekt aller Beteiligten dem Projekt gegenüber. Etwas von Schülern geschaffenes ist in vielen Fällen durch diesen Respekt auch vor Vandalismus geschützt.

Im Plenum bringt Otto Seydel das Thema ‚Wertmessung’ noch einmal auf den Punkt:
„Bei der Frage, wie lange ein Architekt für einen Terrassenplan braucht, hatte Herr Molestina geantwortet: 'anderthalb Nachmittage'. Der Prozess an dieser Schule hat dagegen anderthalb Jahre gebraucht. Eine ähnlich Frage war während der Tischrunde in den Raum gestellt: Wie teuer ist das Terrassenprojekt? Wenn man die Mannstunden einrechnet, ist ein solches Projekt ja höchst unökonomisch. Wenn man die Bindung hat, nur in Geld zu zählen, dann könnte man sagen, dass ist ja völliger Quatsch, den ihr hier macht.
Auf der anderen Seite, ist aber mit Geld gar nicht zu bezahlen, wie viele Menschen in diesem Prozess, also Laura, ihre Mitschüler und die Studenten, unglaublich intensiv gelernt haben. Da ist die ökonomische Betrachtungsweise völlig unangemessen. Die Frage des zeitlichen Aufwandes muss man ganz anders sehen. Der entscheidende Effekt ist, dass der Prozess für die Beteiligten etwas ist, was sie nie vergessen werden, egal ob es dokumentiert wird, oder nicht.“

Die Diskussionsrunde wird durch die Beiträge der beiden Schülerinnen, Laura und Tosca, sehr eindrücklich bereichert. Sie bestätigen, dass Kunstprojekte Schulen verändern.
Die Schülerinnen berichten, wie sie durch die Aquise von Geldmitteln sowie durch Vorträge vor Sponsoren und möglichen Geldgebern ihre Scheu, vor Publikum aufzutreten, ablegten. Sie haben miterlebt, dass es funktioniert hat und vor allem, dass sie es zum Funktionieren bringen konnten.

Projekte sind mit dem Anliegen, Perspektivenwechsel für alle zu ermöglichen, verbunden. Laura und Tosca erläutern in der Gesprächsrunde, wie sich ein Projekt dieser Art auswirken kann. Zum Beispiel, die Sicht von gehbehinderten Menschen einzunehmen. Dabei haben sie sich während der Bauplanung der Terrasse Gedanken darüber gemacht, wie man diesen betroffenen Personen die Möglichkeit schaffen kann, die Terrasse problemlos zu nutzen.

"Ihr habt euch in eure Lehrerin reinversetzt, die nicht gut gehen kann […] einmal in der Schulzeit muss es etwas geben, was so einen Perspektivwechsel bewirkt. Man kann Sachen gut machen, die nicht gleich eine Note auf dem Zeugnis kriegen und die trotzdem wichtig sind." – Stefan Hölscher

Die Mehrheit des Thementisches ist sich einig, dass ein solches Projekt an einem Gymnasium eine noch viel stärkere Störung des Schulbetriebes und von daher schwieriger zu managen sei. Dennoch vergleicht Laura das Projekt mit dem Abitur:
„Ich vergleich das jetzt mal mit dem Gymnasium. Die sagen: ’Wir müssen das Abitur schaffen.’ Wir sagen: Wir müssen unsere Terrasse schaffen… Die Terrasse ist unser Abitur.“

Während der Berichterstattung der Schülerinnen über das Toilettenprojekt, hört man eine Art Fürsorglichkeit und Achtung gegenüber den Dingen und Personen in der Schule heraus. Man weiß, man hat etwas mitgestaltet, aufgebaut und kann sich so mehr damit identifizieren.
Üblicherweise werden Dinge in der Schule willkürlich zerstört oder bemalt; aber nun hat man eine gewisse Verantwortung den Dingen gegenüber aufgebaut, erklären die beiden Schülerinnen.

„Das, was man normalerweise im Kunstunterricht macht, ist viel zu häufig am Ende dann doch nur für den Papierkorb. Es wird weggeschmissen. Das Gefühl dagegen , ich stelle etwas her, was dauerhaft und nützlich ist, liegt jenseits der Tätigkeit, die die Schulwelt normalerweise hat. Es war die Professionalität und die kindliche Phantasie, die während des Terrassenprojekts ineinandergriffen. Ideen von Außen und die Ideen der Kinder wurden in Gestalt gebracht, es griff alles in- und übereinander und die Kinder hatten einen Teil daran.“ Otto Seydel

Es kommt eine neue Schulreform auf uns zu, vor allem durch die absehbare Abschaffung der Hauptschule und die Inklusionsforderung. Es wird viel gebaut werden müssen, damit sich die Struktur der Schule verändert. Innerhalb der Diskussionsrunde stellte sich die Frage, wie, wo, durch wen kann die Realisation dieser Projekte beginnen?

KünstlerInnen, die Schulen begleiten, sollten die Fähigkeit haben, mit Lehrern, mit Schülern und mit Verwaltung umgehen zu können. Sie dürfen auf keinen Fall eine Selbstverwirklichung Ihrer eigenen Personen mit Hilfe der Schüler betreiben.

Im Plenum bringt Otto Seydel das Thema ‚Rolle des Künstlers’ auf den Punkt:
„Die Schülerinnen haben erläutert, dass Frau Reeh bei dem Toilettenprojekt Grenzen setzte. Sie durften nur mit einem Bleistift auf die Kacheln zeichnen, ohne Lineal, nur der Bleistift. Trotz dieser Beschränkung, die der Künstler den Schülern auferlegte - sie hatten also keinen Spielraum mehr - stand das Eigene vor ihren Augen. ‚Das hat mich tief beeindruckt, ich hatte zum ersten Mal den Eindruck, ich mache ein Bild für die Ewigkeit’ schilderte die Schülerin Laura. Wenn man mal überlegt, dass die normale schulische Produktion für den Papierkorb ist, dann ist das ein unglaublich kostbarer Satz. Natürlich braucht es die führende Hand des Künstlers, damit die Schüler die Erfahrung machen, dass das Eigene ein Gesicht bekommen kann.“
„Die Tischgruppe für die ich Pate war, hatte einen falschen Namen. Sie hieß Kunst verändert Schule. Sie hätte aber heißen müssen Künstler verändern Schule. Das heißt: da sind reale Menschen die da in die Schule kommen.“
„Der große Irrtum des Deutschen Schulwesens ist, dass man glaubt, durch Verwaltungsvorschriften und Lehrpläne Bildung zu erzeugen. Das ist ein Irrtum. Aber wenn der Künstler in die Schule kommt, dann kommt der Mensch mit seiner Profession in die Schule und kein Lehrplan. Und das ist die Chance."

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Nachmittag, gemeinsam mit Tisch 2 "Neue Qualitäten"
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Gelingensbedingungen

In der Nachmittags-Session wurden in Zweiergruppen zusammen mit dem Thementisch "Neue Qualitäten" Gelingensbedingungen für funktionierende Partizipationsprozesse gesammelt und vorgestellt. Im Folgenden eine Auswahl der gemeinsam erarbeiteten Gelingensbedingungen:

Irmela Specht und Angelika Tischer:
- Wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe ist unser Hauptpunkt. Kernkompetenzen der verschiedenen Professionen sollten Anerkennung finden.
- Es braucht einen überzeugten Sponsor, der/die etwas zu sagen hat. Wobei es weniger um die Finanzierung der Projekte als vielmehr um den Rückhalt bei einem maßgeblichen Entscheidungsträger geht.
- Die Beteiligten sollten das Projekt wirklich wollen und dabei Spaß haben / Keiner sollte sich in den Mittelpunkt stellen wollen / jede Seite nimmt sich zurück und hört zu. (Selbstverliebtheit und Eigeninteressen einzelner kann Projekte killen)
- Ein 'dritter Raum’ in dem die Regeln des 'Ersten' und 'Zweiten' nicht gelten, aber verhandelt werden können
- Klarheit über die gemeinsamen Ziele
- Arbeiten mit zieloffenem Fokus
- Zeit und Raum für Reflexion und Prozessbegleitung

Brigitte Schorn und Margarete Schweizer:
- Das Wichtigste sind die zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Es muss ein Budget geben, mit dem man etwas umsetzen kann.
- Projekte sollten in Schulen strukturell verankert und integriert sein.
- Es muss eine Schulkultur entstehen, die alles umfasst, in der alle das Projekt gemeinsam angehen und gemeinsam lernen; von den Schülern über Künstler und Architekten bis hin zur Schulleitung und den Schulträgern.
- Fortbildungen sollten angeboten werden, in denen Lehrer Kunstprojekte verstehen und erfahren, was ein künstlerischer Prozess ist. Auf der anderen Seite sollten die Künstler das Schulsystem verstehen und sich darauf einlassen.
- Es braucht jemanden der das Ganze zusammenhält und moderierende Tätigkeit übernimmt.

Christel Wester und Pablo Molestina:
- Entscheidend für das Gelingen eines Projektes sind strukturelle, insbesondere zeitliche Freiräume. Christel Wester veranschaulicht dies: „Als Schüler/in nehme ich an einem Kunstprojekt teil; das ist ein gesellschaftliches Engagement an der Schule. Das Problem ist, ich muss später Zuhause Unterrichtsstoff nacharbeiten, ich habe folglich eine gewisse Leistung nicht erbringen können, weil ich es zeitlich nicht geschafft habe. Das darf nicht sein.“
- Sehr früher Austausch unter allen Beteiligten / Prioritäten werden offengelegt und besprochen.
- Es gilt, die ’Ästhetik des Machbaren' finden.
- Unterstützung durch die Schulleitung
- Grundsätzliche Offenheit und Motivation im Kollegium
- Sinnlich denken
- Rahmenfinanzierung

Roland Schild und Karin Langhoop:
- Nachhaltigkeit des Engagements ist unser Motto. Bei einem so umfangreichen Projekt ist es entscheidend, dass man durchhält. Frau Reeh ist dafür das beste Beispiel; wie sie mit Zähigkeit dran blieb Gelder zu akquirieren und alle Beteiligten anstieß weiter zu machen.
- Verschiedene vertraglich abgesicherte Spielräume, sowie Geduld und Respekt, sind für uns genauso wichtig wie die Improvisationsfähigkeit der Entscheidungsträger.

Otto Seydel und Vera-Lisa Schneider:
- Eine Vision, ein Bild eines anderen Raumes, Ortes, einer anderen Gestalt […] Eine Vision die nur schemenhaft ist; Aber das muss sehr stark sein. Ich hab die Vorstellung, dass da was Neues entstehen kann sowie auch, dass der Prozess die Kraft haben wird dieses zu erreichen.
- (Externe oder interne) Moderation: "Bei diesem hochsensiblen Prozess der Begegnung von Lehrern und Künstlern sollte es im Idealfall eine moderierende Rolle geben, von wem auch immer, weil der Konflikt unvermeidlich ist. Das kracht im Karton weil die inneren Systeme diametral verschieden sind."
- Wechselseitige Kenntnis und Respekt der Professionen: "Man muss (als Pädagoge) eine Ahnung davon haben, was der Architekt und der Künstler tut und der Architekt und der Künstler muss eine Ahnung davon haben, was der Pädagoge tut."

Protokoll: Marielle Neumann, Studentin Kommunikationsdesign FH Düsseldorf; Bearbeitung: Muriel McCalla und Thomas Düssel