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Fachtagung Schulkunst

Fachtag 17.09.2012

Beitrag Prof. Dr. Dörner

Angst vor Veränderung

Angst. Was ist das? - Natürlich ein Gefühl.

Video: Vortrag Angst vor Veränderung

Dauer: 12:57 min
Videomitschnitt, Julian Martinz, 2012


Man kann Angst ungefähr folgendermaßen bestimmen: Es basiert darauf, dass jemand hohe Unbestimmtheit empfindet und ein hohes Ausmaß an Inkompetenz hat.

Was heißt das? Unbestimmtheit heißt: Ich kann meine Welt nicht erklären, ich weiß nicht, warum etwas passiert, ich weiß nicht, was morgen passieren wird, ich weiß nicht, was übermorgen passieren wird, im Grunde weiß ich gar nicht, was hier so vor geht und erklären kann ich es auch nicht und deshalb kann ich mich auch nicht drauf einstellen.

Inkompetenz wiederum heißt so viel: egal was passiert, ich kann es nicht bewältigen. Kompetenz heißt: egal was passiert, ich komme damit zu Rande, ich werd damit fertig mit der ganzen Angelegenheit. Das heißt, Kompetenz oder Macht, Macht ist ein bisschen aus der Mode geraten – ist political not correct – aber an sich ist Macht ein besseres Wort dafür, machen können, etwas machen können, aber das hat so einen unangenehmen politischen Beigeschmack, deshalb gebrauchen wir dann lieber das Wort Kompetenz, so ein Allerweltswort. Okay, wenn ich also in einer Situation stehe, mit einer großen Unbestimmtheit. Was immer passieren wird. Ich kann nichts machen. Ich weiß nicht, nach welchen Regeln das hier funktioniert. Ich kann nichts machen. Dann habe ich Inkompetenz und das Gefühl, was man dann hat, das heißt so viel wie: Angst.

Gefühl ist ein schlecht definierter Ausdruck, eigentlich handelt es sich um einen Haufen verschiedenartiger Handlungstendenzen: primitiv und alt, Flucht, Aggressionen.
Flucht. Abhauen: Irgendwo hin, wo es bestimmter ist und wo ich mehr Kompetenz habe. Aggression: wenn es irgendetwas ist über das ich Macht habe: drauf hauen. Töten. Blaumann. Mit Insekten beispielsweise skrupellos. Wenn sich irgendwo in einem Urlaubsort ein unbekannter Käfer auf meinem Unterarm niederlässt: Ermorden und wischen es weg und Gefährdung auch weg. Das machen wir bei Insekten relativ skrupellos, bei anderen Leuten weniger skrupellos, obwohl es auch anderen Leuten gegenüber sehr gut funktioniert. Es ist nichts so eine wunderschöne Bedingung für Grausamkeit, wie Leute in Angst zu versetzen. Das ist also das Primitive der Angst und das haben wir mit unseren tierlichen Genossen gemeinsam. Bei uns kommt aber eine ganze Menge mehr dazu. Eigentlich haben wir mehr Angst als Tiere. Man könnte auch behaupten nur wir haben Angst, denn Tiere können nicht in die Zukunft schauen, oder nur sehr im geringen Maße. Sie leiden nicht darunter, dass die Zukunft unbestimmt ist. Wir alle leiden darunter, wir wissen nicht was mit dem Euro morgen passiert und übermorgen schon gar nicht und was dann passiert mit Europa wissen wir auch nicht so genau und so weiter. Wir sind als Menschen Angstwesen.

Und wir haben von vornherein verschiedene Reaktionsformen darauf erfunden. Eine Reaktion beispielsweise auf Angst ist: Religion. Der Glaube an etwas Unbedingtes und Unbegreifbares. Da weiß ich immer noch nicht genau, was da passiert, aber ich weiß, ich kann das irgendwie beeinflussen. Durch Gebete beispielsweise. Durch Opfergaben früher. Die frühen Religionen sind immer Opferreligionen. Ich opfere irgendjemanden 100 Stiere und dann soll er gefälligst tun was ich will. Damit ist die Zukunft bestimmt und wenn er es nicht tut, dann mag das auch seinen Hintergrund haben. Ich brauch keine Religion nehmen, wenn ich Kommunist werde und davon überzeugt bin, dass die Diktatur, das Proletariat und nachfolgend die klassenlose Gesellschaft das unabweisbare Ende aller Dinge ist, habe ich auch keine Angst. Das ist auch eine Art von Religion und die mich befreit. Was immer mir passiert, ich bin auf der richtigen Seite, nämlich als Baustein der Geschichte und ich komme dann auch irgendwie hin. Also die politischen Religionen – besonders diejenigen des vergangenen Jahrhunderts – sind auch Auswege aus der Angst.

Aber es gibt noch andere Dinge, die von Angst abhängig sind, auch wiederum etwas relativ Primitives: Affiliation. Ich begebe mich in eine Gemeinschaft. Ich habe Kumpel, Freunde und von denen weiß ich, die werden mir helfen. Auf diese Art und Weise ist Angst zu bewältigen. Wenn Leute Angst haben gesellen sie sich zusammen, kommen zusammen und haben enge Bindungen zueinander. Das ist nebenbei auf dem ersten Blick etwas, das sehr vernünftig erscheint, aber etwa für die Kreativität ist es gar nicht gut. Darauf kommen wir gleich zurück.

Eine weitere Form der Kompetenzsicherung ist die affirmative Informationssammlung. Das ist das gefährlichste überhaupt. In Angst neigen die Leute dazu, das wahrzunehmen, was in ihr Weltbild passt und das was nicht passt, das sehen sie nicht. Es gibt hübsche Beispiele dafür, aber zunächst mal glauben sie es erst mal so. Die Welt wird verzerrt. Die Welt wird nicht mehr so wahrgenommen, wie sie ist, sondern so wie ich sie haben will. Und wenn ich doch etwas wahrnehme, das ich eigentlich nicht wahrhaben will, kann ich es immer irgendwie abwehren. Ich kann sagen, dass ist gelogen, das ist einseitig, das ist eine Ausnahme und so weiter und bekomme auf diese Art und Weise Informationen, die mir nicht passen zum Verschwinden und lebe dann auch wieder in der heilen Welt. Nebenbei, die Welt wird nie so ganz heil, es bleibt so ein Zweifel übrig an der ganzen Angelegenheit und so ganz zufrieden bin ich nicht und am besten muss ich – und das ist auch eine Tendenz bei Angst – Missionieren. Ich muss alle Leute davon überzeugen, dass ich recht habe, dann ist die Sache in Ordnung.

Ich gehe jetzt auf einiges Andere Dinge nicht näher ein, aber in Hinblick auf Ästhetik kann man sagen: Angst kann man auch bekämpfen in dem man etwas macht. Indem man zeigt, dass man handeln kann. Darum benutzen Psychologen Kunst als Therapiemittel, meistens in sehr denkwürdiger Form, aber darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen.

Aber sicherlich ist es sinnvoll, wenn man jemanden der Angst hat, die Gelegenheit gibt zu zeigen: ich kann etwas machen. Man hat dann Macht. Das strahlt aus auf sein gesamtes Gefühl in der Welt zu sein und bringt ihm vielleicht, vielleicht sogar auf Dauer, in einen besseren Zustand der ihn angstfreier macht. Ästhetik als eine Form von Bewältigung der Welt in einem bestimmten Bereich: Ich kann etwas machen und auf diese Art und Weise zeigt sich, dass ich Macht habe. Ich würde annehmen, dass die frühesten ästhetischen Erscheinungen die wir haben, die Höhlenmalereien von Büffeln und Wildpferden nicht so sehr Jagdzauber sind. Diese Menschen hatten Spaß dran eine Realität selbst herstellen zu können, sie zeigen zu können. Ich kann eine Realität, die mir im Großen und Ganzen auch Angst macht, selbst herstellen: Ich kann sie machen, und im Abbild replizieren. Auf diese Art und Weise gewinne ich Schöpferkraft und Macht, die ich im schöpfen habe. Darin liegt viel Wahrheit im Hinblick auf das Ausüben von Ästhetik. Das ist vielleicht auch eine uralte Form von Angstbewältigung.

Wenn ich das Bisschen, was ich von der Tagung mitbekommen habe, richtig interpretiere, dann ist es genau das, was den Schülern Spaß machte: Zeigen zu können, dass sie a) etwas machen können und dann auch noch zu erleben, dass es, zumindest in Etwa, so gemacht wird, wie sie das wollen. Es gibt ihnen Mut. Es gibt ihnen die Möglichkeit zu zeigen, dass sie etwas machen können und es gibt ihnen, das Empfinden: ich kann mitwirken, ich kann die Welt gestalten, ich habe Macht oder Kompetenz in diesem Sinne. Das ist das, was zum Agieren, zum Handeln können, als Mittel zur Angst zu sagen ist. Ästhetik als eine Art von Angstbewältigung oder zumindest Besorgnisbewältigung, wenn ihnen das Wort Angst zu stark ist. Das ist der Punkt, der mir wichtig erscheint und das ist auch der Punkt, an dem ich meine, dass man mit Veränderungen besser als mit Angst umgeht.

Veränderungen bedeuten immer Unbestimmtheit. Natürlich. Ich weiß nicht was werden wird, ich weiß nicht worauf ich mich einlasse. In komplexen Realitäten ist es immer so, dass ich nicht weiß, was geschehen wird und ich nicht genau weiß, haben nun die Effekte die Herr Draghi für den Finanzmarkt beschließt positive oder negative Effekte oder beides oder beides im gewissen Zusammenhang. Keinen Schimmer. Aber wenn Veränderungen stattfinden und ich generell das Weltgefühl habe: Ich kann was machen, ich kann wirken und es kommt etwas dabei raus, dann bin ich besser auf diese Veränderungen eingestellt, als wenn eben dieses nicht der Fall ist.

Wenn wir einen Erziehungsauftrag haben, oder wenn etwas im Zentrum eines Erziehungsauftrags steht, dann ist es ja nicht so sehr der, dass wir Kindern Englisch, Französisch, Mathematik und so weiter beibringen, sondern eher, dass wir ihnen Selbstwertgefühl, ein starkes Ichgefühl vermitteln wollen. Wenn sie das haben und wenn dieses außerdem noch flexibel ist, wenn sie sich auf neue Anforderungen einstellen können, dann haben wir sehr viel erreicht im Hinblick auf die Fähigkeit von Kindern und von Jugendlichen und auch von uns selbst. Angst zu bewältigen, mit Angst fertig zu werden. Denn: Angst ist kein Schicksal.