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Fachtagung Schulkunst

Fachtag 17.09.2012

Protokoll

Nach drei Jahren Modellversuch fand am 17. September 2012 der Fachtag Schulkunst statt.

In der Aula des Gymnasium Gerresheim in Düsseldorf wurden exemplarische Projektergebnisse vorgestellt. Vorträge mit Inputs aus den Perspektiven zeitgenössischer kontextbezogener Kunst, Psychologie von Veränderungsprozessen, Improvisation, Prinzipien künstlerischer Prozesse an Schulen und deren Potential für Schulentwicklung dienten als Inspiration für ein gemeinsames Weiterdenken der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Zielgruppe
SchulleiterInnen, LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern, ArchitektInnen, KünstlerInnen und ExpertInnen aus der Verwaltung waren eingeladen, um sich über die Rahmenbedingungen von Schulkunst zu informieren, eigene Vorhaben zu beraten und gemeinsam weiterzudenken.

Struktur
Neben den Kurzvorträgen stand vor allem der Austausch im Vordergrund: An insgesamt 15 Tischgruppen mit jeweils sechs bis acht TagungsteilnehmerInnen der unterschiedlichen Berufsgruppen, wurde über die Inhalte Vorträge diskutiert und eigene Ideen entwickelt. Die heterogene Zusammensetzung der Tischgruppen sollte hierbei ein breites Spektrum an Erfahrungen und Interessen öffnen.

Förderung
Der Fachtag wurde von der Robert Bosch Stiftung gefördert.
Die Schirmherrschaft übernahm Herr Dirk Elbers, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf.


Block 1

Frauke Burgdorff, Montag Stiftung Urbane Räume, Beirat Schulkunst und Moderatorin der Tagung begrüßte Dirk Schnelle, Gastgeber und Schulleiter Gymnasium Gerresheim; Maria Trini, Robert Bosch Stiftung; Marianne Schirge, Kulturamt Düsseldorf; Ute Reeh, Künstlerin, Initiatorin Schulkunst und Dr. Gregor Jansen, Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, Beirat Schulkunst.

Dirk Schnelle, Schulleiter des Gymnasium Gerresheim und Gastgeber, heißt die Gäste herzlich willkommen.

Marianne Schirge, Leiterin des Düsseldorfer Kulturamtes, übermittelt die Grüße von Oberbürgermeisters Dirk Elbers. Sie beschreibt Schulkunst als ein Aufgreifen des unverbrauchten Potenzials der Schülerinnen und Schüler. Für sie ist der Schulkunst-Prozess "ein gemeinsamer Weg zu einem Ziel, von dem wir noch nicht wissen, wie es aussieht". Alle Kinder und Jugendlichen durchlaufen die Schule. Für Schirge wäre es ideal, wenn es gelänge, Schule so zu gestalten, dass die beteiligten Menschen mit Verantwortung und Respekt eine Schulkultur leben und gestärkt die Schule verlassen. Es sollte eine „Unternehmens“kultur entwickelt werden, die alle Beteiligten fördert und das Zusammenleben auf eine gute Art möglich macht.

Das der Fachtag Schulkunst zustande kommen könnte, ist vielen engagierten Unterstützern geschuldet, die sich für dieses Projekt eingesetzt haben. Als Förderer dieser Tagung ist vor allem der Robert Bosch Stiftung zu danken. Maria Trini von der Robert Bosch Stiftung, die das Projekt begleitet und stellvertretend für die Stiftung am Fachtag teilnimmt, berichtet über ihr persönliches Interesse an dem Projekt und ihre Beweggründe sich für Schulkunst zu engagieren.

Gregor Jansen macht als Vertreter des Beirats Schulkunst die Qualitäten des Projekts deutlich. Er stellt dar, dass im Projekt Schulkunst die Offenheit der Prozesse und das Zulassen von Dissonanzen das besondere, auch künstlerische Potential ausmachen.

Frauke Burgdorff erläutert, dass der Fachtag Impulse und praktische Hinweise geben wird, aber keine Formeln! Es wird gezeigt werden, wo es gut lief und wo es hakte. Es gibt keine Bauanleitung für Schulkunst, sondern Hinweise wie Projekte liefen, wie sie sich etabliert haben und auch welche Schwierigkeiten es gab, damit Sie selber davon profitieren. Neben konkreten Beispielen wird es um die Prinzipien von Schulkunst gehen. Dabei geht es nicht um einen anderen Kunstunterricht, sondern um Prozesse, in denen künstlerische Strategien zur Anwendung kommen. Frauke Burgdorff ermutigt die TeilnehmerInnen sich einzumischen und die Chance zu nutzen mit Menschen zu sprechen und sich auszutauschen, die sie noch nicht kennen. „Zuhören“ ist manchmal wertvoller als „Reden“! Neugierig zu sein! Spuren zu hinterlassen!

Ute Reeh begrüßt die TeilnehmerInnen. Sie beschreibt ihre Arbeitsweise als Künstlerin und das was Kunst kann: Ideen in die Welt zu setzen und darauf zu vertrauen, dass sie auf ihre eigene Art und Weise - ohne letzte Kontrolle darauf - wirksam werden.


Auftakt: Was erwarte ich von Kunst?

Vortrag Skulpturenpark Berlin_Zentrum

Markus Lohmann und Matthias Einhoff stellen den Skulpturenpark Berlin_Zentrum und einige der dort entstandenen Arbeiten vor.

Das Projekt begann mit der Behauptung der Landbesetzung des ehemaligen Mauerstreifens Berlin. Mit der Behauptung, „das ist unser Land“, begann die Suche nach Förderer. Der Begriff „Skulpturenpark“ stellte sich als Türöffner heraus – sowohl im Umgang mit den Förderern als auch mit den Eigentümern, die glaubten dort Hochkultur fördern zu dürfen. Im Jahre 2006, als die Künstlergruppe die Fläche vorgefand, war es eine riesige Brache, eine freie Fläche mitten in der Stadt. Viele Arbeiten die entstanden, beziehen sich auf die Geschichte des Ortes, den ehemaligen Mauerstreifen. Die Kunst-Projekte, die von unterschiedlichen Künstlern realisiert wurden, hatten zumeist partizipatorischen Ansatz – bezogen sich also konkret auf die Situation und die Anwohner vor Ort.

„Imaginäre Beleuchtung des Platzes“ von Philip Horst. Die erste Arbeit des Skulpturenparks: Eine Glühbirne, an einem Seil, über das Grundstück gespannt, ermöglicht es den Anwohnern zu bestimmen, wann das Licht an und aus ging und wann und wo der Platz erleuchtet war. Es gab eine mobile Schalteinheit, die von den Anwohnern genutzt und weitergereicht wurde.

“Turn it one more time” Martin Kaltwasser und Folke Köbberling bewegten sich in ihrer Arbeit „Turn it one more time“ von der archäologisch betrachtet jungen Oberfläche des Skulpturenpark-Geländes nach unten, in die Tiefe. Als Negativ-Formen der Treppen und Plattformen, mit denen BesucherInnen bis 1989 von West nach Ost über die Mauer sehen konnten, schafften Kaltwasser und Köbberling mit mehreren großen Erdaushebungen eine neue Begehbarkeit der Geschichte dieses Ortes. Der entsiegelte Boden und die in den Boden gegrabene Treppe waren dabei aber nicht nur als Sinnbild gedacht, sondern verschafften dem Besucher einen Blick auf gleicher Augenhöhe: Nach dem Ausflug in die Tiefen der Vergangenheit kehrte er in die Gegenwart einer Pflanzenwelt zurück, die Möglichkeiten einer Nutzung jenseits investorischer Interessen vorführte und die territoriale Besitznahme durch pflanzlichen Wildwuchs würdigte.

„The Single Room Hotel“ von Etienne Boulanger bietet in einer Architektur im Billboard-Design auf einer Wohnfläche von 32 qm den behaglichen Komfort eines vollausgestatteten 2-Sterne Hotels. Der Raum besteht aus 6 zusammen geschobenen Werbetafeln, die einen begehbaren Raum ergeben. Die Finanzierung erfolgte durch die Vermietung der Werbeflächen und die Nutzung des Hotelzimmers.

„This is your land“
Als Gastgeber der Berlin Biennale für Projekte im öffentlichen Raum waren Skulturenpark Berlin_Zentrum eingeladen sich mit einem eigenen Beitrag zu beteiligen. Sponsor der Berlin Biennale war BMW. Die Sponsorenschaft von BMW haben sie in ihrer Arbeit aufgegriffen, indem sie acht BMW-Fahrzeuge sich gegenseitig abschleppen ließen. Währenddessen lief der Song „this is your land“ über das Autoradio in allen Fahrzeugen. Die Besucher konnten immer eine Runde mitfahren.

„Lands End“ von Skulpturenpark Berlin_Zentrum
Inspiriert von der Tatsache, dass in der Zeit in Berlin jeden Tag ein Auto brannte, entstand die Arbeit „Lands End“. Wobei geht es eigentlich bei den brennenden Autos? Skulpturenpark Berlin_Zentrum wollten die Diskussion nicht bewerten, sondern lediglich als Kommentator beobachten. Dafür haben sie eine Oper entwickelt, die sie in sechs brennenden Autos auf dem Gelände inszenierten, aus deren Autoradios Arien ertönten. Dabei wurden Texte/Zitate der Akteure der Stadtentwicklung – der Architekt, Politiker, Aktivist – von Opernsängern interpretiert. In den Augen der Investoren führte dies zu einer Abwertung des Geländes.

Tischgespräch Eins: „Was erwarte ich von Kunst?“



Block 2
Welche Kunst braucht (meine) Schule?

Vortrag Ute Reeh: Genese von Schulkunst

Die Bedeutung von Struktur und die Arbeit mit Unbestimmtheit
Ute Reeh stellt zu Beginn eine ihrer Performances aus dem Ende der 80ziger Jahre vor, die als Bild ihres Ansatzes für die Schulkunst Projekte – in Bezug auf die Bedeutung von Struktur und der Arbeit mit Unbestimmtheit – zu verstehen ist. Dies meint den Gedanken der Teilhabe und der Aufhebung von Kontrolle. Bei dieser Performance war nicht klar, wer der Hauptakteur ist: Ein Raum voll mit Menschen – wer ist hier eigentlich der Performer? Jeder war Teil der Performance. Es gibt einen weiteren Gedanken, der mit dem Projekt zu tun hat: Der Einbezug des Unkontrollierten. Ute Reeh verdeutlicht den Gedanken des Unkontrollierten an einem anderen Projekt: Zu „Muster“ gehörte, dass ein besonders Muster auf Bettwäsche gedruckt wurde, die in unterschiedlichen Läden auf der ganzen Welt angeboten wurde. Die Künstlerin wusste nicht, wann, wo und vom wem sie gekauft und benutzt wurde. Sicher war, dass darin in nicht bekannten Regionen der Welt „Performances“ stattfinden die sich jeder Kontrolle entzogen.
Ein anderer Aspekt, der Ute Reeh wichtig ist: Die Lust daran zu vermitteln, was passiert, wenn man die Dinge genau anders herum sieht – also etwas von oben, anstelle von unten usw. betrachtet. Das Denken, wahrnehmen und Handeln liegt in der Hand der Menschen, die mit der Kunst umgehen und nicht in den Händen des Künstlers. Der Künstler gibt zu Anfang den Impuls und schafft eine Struktur. Dinge zu benutzten, um sich seiner selbst gewahr zu werden – also auch das eigene Potenzial wahrzunehmen und die Dinge auf die eigene Art und Weise zu benutzen. Das liegt in den Händen derjenigen, die mit Kunst umgehen!

Zum System Schule bemerkt Ute Reeh folgendes Phänomen: Wenn man in Schule oder den Kindergarten geht, dann ist eines ganz klar: Es geht um richtig oder falsch. Genau hier setzt sie an, wenn sie zeigt, was alles passieren kann, wenn man die Kategorien „richtig“ und „falsch“ hinter sich lässt und sich selbst und die anderen wertschätzt. Das Toiletten-Projekt dient als Veranschaulichung dessen, was sich bewegen lässt.: Zu Beginn stand folgende Äußerung einer Schülerin: „Frau Reeh mir hat das alles Spaß gemacht, das ist ja alles gut und schön, aber wissen Sie, es gibt Sachen, die kann man nicht ändern und die sind ganz schrecklich – und das ist das mit den Klos“. Dies war der Beginn eines großartigen Projekts.
Scheinbare Aussichtslosigkeit birgt das Potenzial für wirkliche Veränderungen. Wenn Schüler ein eigenes Interesse haben, sich mit etwas beschäftigen, dass aus ihrer Perspektive wichtig ist, sind vorher ungeahnte Wege und Lösungen möglich. Die Toilette war der einzige Ort an dieser Schule, der nicht beaufsichtigt bzw. kontrolliert wurde. Aber gleichzeitig ein Ort, den eigentlich niemand mochte und mit dem Ängste verbunden waren. Das Projekt funktionierte deshalb so gut und lief so lange, weil die Schülerinnen und Schüler sich diesen Ort durch unterschiedliche Interventionen/Strategien zueigen machten. Der Ort wurde während des Projekts – das über viele Jahre lief – zu ihrem Ort, zu ihrer Bühne, wo sie ihre Rolle spielen konnten. Die Kinder wurden von vorhinein einbezogen, auch was ihre eigenen Ängste betraf und ein wichtiges Thema vieler Schulen ist: „wie setze ich mich durch“.

Schülerpräsentation 1

Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Gerresheim stellen erste Projektideen für Schulkunst an ihrer Schule vor. Die SchülerInnen hatten etwa einen Monat im Rahmen eines Kunstkurses an den Projektideen gearbeitet und diese bereits auf der Lehrerkonferenz vorgestellt. Im nächsten Schritt wird es darum gehen die Ideen zu konkretisieren und in Teilen umzusetzen. Die SchülerInnen sind zuversichtlich und stehen hinter dem Projekt.
Projektideen// Luca und Mandy stellen vor, wie ihre Schule verschönert werden kann:
- Verschönerung der Gänge durch Parkettfußboden und Fenster zwischen den Gängen und den Klassenräumen, so dass man sehen kann, was in den darin stattfindet.
- Die Räume sollten erkennbar ihr Fach repräsentieren. Im Kunstraum könnten die Ecken abgerundet sein, so dass diese nicht so kalt und steril wirken.
- In den Mädchentoiletten gibt es das Problem, dass sich im Vorraum immer eine Schlage bildet, weil sich nur dort ein Spiegel befindet und es nur ein Waschbecken gibt. Unser Vorschlag ist, es soll mehr Spiegel und mehr Waschbecken geben. Dazu wäre im Toilettenraum Platz.
- Das Foyer ist zu voll. Es stehen dort sehr viele Stellwände. Daher wollen wir eine elektronische Infotafel, über die die News der Schule laufen – also ein internes Facebook der Schule. Außerdem ist das derzeitige Foyer sehr dunkel: Unsere Idee ist alles heller zu streichen. Das Ambiente soll freundlicher werden.
- Die Türen sollten sichtbar machen was sich dahinter verbirgt. Die Tür zum Lehrerzimmer möchten wir mit Tafellack streichen, so dass darauf Ideen geschrieben werden können, die eine bessere Verbindung zwischen Schülerinnen und Schüler und Lehrern hergestellt. Dort sollen auch Gefühle aufgeschrieben werden können.
- Auch eine Wand soll so beschichtet werden, so dass dort auch die jüngeren Schülerinnen und Schüler hier mit Kreide ihre Spuren hinterlassen können.
- Im Schulhof sollten Sträucher, die vor den Fenstern wachsen entfernt werden, so dass mehr Licht nach innen fällt. Die unterschiedlich bemalten Säulen sollten in der Farbfamilie grün gestrichen und mit Kletterpflanzen bepflanzt sein. Die leeren Betonbecken sollten bepflanzt werden und auf dem Schulhof sollte ein Teich mit Bänken herum für Entspannung sorgen. Der Teich soll in einen Bach münden. Die Raucherecke, die sehr dreckig ist, sollte verbessert werden: Hier sollte es Bänke und Mülleimer geben. Außerdem soll zukünftig vermieden werden, dass die Raucherecke für die 5. Klässler sichtbar ist.

Schülerpräsentation 2

Schüler und Schülerinnen der Alfred Herrhausen Schule stellen ihr Projekt „Eine Terrasse für die Alfred-Herrhausen-Schule“ vor und erläutern wie sie vorgegangen sind und wer was gemacht hat. Sie berichten von ihren Erfahrungen, z.B. mit den beteiligten Architekturstudenten sowie mit dem Architekten und ihrer Jury für einen Projektflyer. Außerdem haben sie das Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt (Bezirksleitung) und durch die Präsentationen und Vorträge der Schülerinnen und Schüler etwa 50.000 EUR für die Umsetzung ihrer Idee akquiriert. Die Schülerinnen und Schüler haben sich die K21 besucht um zu überlegen welche weiteren Künstler sie inspirieren könnten. Die Schülerinnen und Schüler erzählen, was sie geleistet haben, wie sie konkret mitgeholfen und sich eingebracht haben. Sie berichten auch von ihren Schwierigkeiten und der Zusammenarbeit mit externen Firmen. Die SchülerInnen haben einen Preis für das Projekt erhalten.

Film: „Die Terrasse ist unser Abitur“

Tischgespräch 2
Welche Kunst braucht (meine) Schule?

Finanzierung
Frauke Burgdorff greift an dieser Stelle eine wichtige Frage auf: Die große Frage ist immer „woher kommt eigentlich das Geld? Wer bezahlt diesen Prozess? Die Schulkunstprojekte sind so angelegt, dass die Mittel dafür aus so genannten Kunst am Bau Mitteln stammen. 1-2 % der Bausumme können für künstlerische Prozesse verwendet werden. Bei Schulkunst wurden die Anlaufprozesse von der Robert Boschstiftung und der Montag Stiftung Urbane Räume finanziert. Das große Ziel von Schulkunst ist, dass es zur Regel in Deutschland wird, dass 1 – 2 % der Bausumme in solche Projekte fließt und Umbauprozesse von Schulen für Schulentwicklungs-prozesse genutzt werden. Aus Sicht der Planerin Frauke Burgdorff bedeutet dies auch dort wo die Nutzerinnen mitreden, wird es in der Regel besser, als wenn das Ganze ausschließlich von Externen geplant wird.

Block 3
Wo liegt das Potential im Zusammenspiel von Schule, Kunst und Bauen? Wo knirscht es?

Schülerpräsentation 3

Planung am Heinrich-Hertz-Berufskolleg
Josha Langer und Davide Groppuso stellen die erste Etappe ihres Projektes vor. Es wird deutlich, wie sehr sich die Schülerinnen und Schüle engagiert haben, wie sie sich den Bau ihrer Schule vorgestellt haben und wie es ihnen gelungen ist den Architekten von ihren Ideen zu überzeugen. Schwerpunkt war die Planung des neuen Chemiegebäudes. Außerdem wurde überlegt wie man den Schulhof schöner gestalten und die Zugänge zur Schule optimieren kann und wo die Parkplätze einen guten Ort finden. Sie beschrieben, welche Schritte zur Umsetzung gemacht wurden: vom anfertigen von Modellen und Zeichnungen bis hin zu Workshops mit allen Beteiligten. Trotz ökonomisch und ökologisch orientierter Planung des Architekten wurde diese stark reduziert. Die Schüler und Schülerinnen bedauern diesen Umstand sehr.

http://www.schulkunst.org/meta/fachtag/artikel.php?kap=40&art=145
Davide Groppuso, Joscha Langer, Schüler des HHBK; Olaf Schmiemann, stellvertetender Schulleiter des HHBK; Helmut Heuer, Architekt; Prof. Pablo Molestina, Architekt; Ute Reeh, Künstlerin; Jo Meyer, Architekt

Frauke Burgdorff fragt zunächst die Architekten nach der Umsetzbarkeit der von Schülern und Schülerinnen entwickelten Entwürfe und dem Umgang mit den unterschiedlichen Ansprüchen und Anforderungen.

Pablo Molestina stellt dar, dass es für ihn das magische an dem Projekt gerade darin lag, dass die Schüler und Schülerinnen dazu aufgefordert haben Grenzen zu überschreiten. Molestina meint, dass die Anforderungen an die neue Architektur/den neuen Raum klar definiert werden. Herausforderung ist, dass es nicht um ein kurzfristiges Event geht, sondern um einen Raum, der sich auf unterschiedlichen Ebenen bewähren muss.

Olaf Schmiemann, der stellvertretende Schuleiter und die Schüler des Heinrich Hertz Berufskolleg werden nach ihren Erfahrungen mit Schulkunst und ihrem Umgang mit den Einschränkungen der Stadt bei der Realisierung ihres Entwurfes befragt. Sie haben diese einerseits als einen Rückschlag empfunden, andererseits haben sie Erfahrung gewonnen und ein Teil ihrer Ideen wurde von den Entscheidungsträgern berücksichtigt. Helmut Heuer fasst die zentralen Punkte, die die Schüler und Schülerinnen in einem demokratischen Prozess herausgearbeitet haben (u.a. den Baum zu erhalten, die Autos vom Zentrum des Schulgeländes an den Rand zu bringen und den Blick in die Weite zu ermöglichen) zusammen und sagt, dass genau diese Punkte im endgültigen Entwurf eingegangen sind.

Zum Prozess von Schulkunst sagt Herr Zerfass, der Schulleiter der Alfred-Herrhausen-Schule, dass es immer wieder anstrengende Phasen gab, aber das der Gewinn so deutlich ist, dass er Schulkunst an seiner Schule erhalten und dazu sogar zu einem Fach machen möchte.

Die Besonderheit von Schulkunst liegt nach Jo Meyer, auch darin, dass der Künstler, die Künstlerin, als außenstehende Person, den Prozess so moderiert, dass alle Beteiligten darin ihre Rolle haben aber auch aus ihrer Rolle heraustreten können. Es bedarf einer Person in dem Projekt die keine Rolle hat.

Tischgespräch 3
Wo liegt das Potential im Zusammenspiel von Schule, Kunst und Bauen? Wo knirscht es?

Block 4
Veränderungen bewirken immer auch Widerstand. Wie lässt sich damit arbeiten?

Vortrag Prof. Dr. Dietrich Dörner: Warum machen Veränderungen Angst?

Prof. Dr. Dörner befasst sich mit Denken und Handeln in komplexen Realitäten und mit der Theorienbildung im Bereich „Handlungstheorie“. Er erforscht Handeln als Zusammenspiel von Kognition, Motivation und Emotion und entwickelt Theorien durch Simulation psychischer Prozesse in neuronalen Netzwerken. In seinem Vortrag für den Fachtag Schulkunst geht Dörner der Frage „Was ist Angst?“ nach:

Angst ist ein Gefühl, dass durch das Empfinden hoher Unbestimmtheit oder ein hohes Ausmaß von Inkompetenz ausgelöst wird. Unbestimmtheit meint: Ich kann meine Welt nicht erklären, ich weiß nicht, warum etwas passiert und kann ich mich auch nicht drauf einstellen. Inkompetenz wiederum meint: egal was passiert, ich kann es nicht bewältigen. Kompetenz meint: egal was passiert, ich werde damit fertig. Unter dem Einfluss von Angst neigen die Leute dazu, nur das wahrzunehmen, was in ihr Weltbild passt und das was nicht passt, das sehen sie nicht. Wenn das Weltbild positiv ist, dann resultiert aus der affirmativen Wahrnehmung übertriebene Hoffnung. Ist das Weltbild negativ, dann resultiert daraus übertriebene Besorgnis, die Unterschätzung der Möglichkeiten, noch etwas tun zu können. Angst führt zu Verstärkung affiliativen Tendenzen. Affiliation meint: ich begebe mich in eine Gemeinschaft. Der Ängstliche versucht seine Bindungen zu festigen und zu vermehren. Was auf dem ersten Blick als etwas sehr vernünftig erscheint, ist aber etwa für die Kreativität gar nicht gut.

Ästhetik als eine Form der Angstbewältigung
Dörner beschreibt Ästhetik als eine Form von Angstbewältigung: Indem man handelt, indem man etwas macht, zeigt sich, dass man etwas verändern kann und dass man Macht hat. Die an den Schulkunstprojekten beteiligten Schüler und Schülerinnen betonen, dass es ihnen besonders wichtig ist, dass sie zum einen zeigen können, dass sie etwas machen können und zum anderen auch noch zu erleben, dass es so gemacht wird, wie sie das wollen. Eine solche Erfahrung gibt ihnen Mut und zeigt ihnen, dass sie mitwirken können und Macht haben ihre Umwelt mit zu beeinflussen.

Veränderungen bedeuten immer Unbestimmtheit und damit auch Angst, aber ein gestärktes Selbstwertgefühl hilft mit den Veränderungen und neuen Anforderungen umzugehen. Prof. Dr. Dörner sagt, dass die Stärkung des Selbstwertgefühls (mehr noch als Mathematik, Deutsch etc.) im Zentrum des Erziehungsauftrags stehen sollte, denn wenn die Kinder und Jugendlichen ein positives Weltgefühl und ein gestärktes Selbstwertgefühl besitzen, dann werden sie Ängste bewältigen können. Angst ist kein Schicksal.

Vortrag Christopher Dell: anders denken?

Der Improvisationstheoretiker und Musiker Christopher Dell stellt seine spezifische Herangehensweise an das Thema Improvisation dar. Er beginnt mit einem improvisierten Konzert auf dem Vibraphon.

Christopher Dell ist bewusst, dass sein Musikstück mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Die Hörer sind verunsichert und fragen sich von wem das Stück ist oder ob man überhaupt so spielen darf. Improvisation ist für Dell der aktive Umgang mit Unbestimmtheit. Für ihn liegt der Reiz der Improvisation darin, dass nichts festgelegt ist. Diese „Unbestimmtheit“ kann mit der Unbestimmtheit wie sie bei den Schulkunstprojekten zu beobachten sind verglichen werden und Anhaltspunkte für einen konstruktiven Umgang mit ihr geben. Die Musik ist bestimmt von einem großen Set an Regeln. Für die Improvisation sind Spielregeln wichtig, weil man sich an ihnen abarbeiten kann. Bei der Improvisation geht es nicht um Regelvermeidung, sondern um einen andere Positionierung zur Regel. Regel heißt für Dell auch Kultur, eine Kultur, die wir selbst mitentwickelt haben und die sich durch ihre Komplexität auszeichnet. Die Kultur wird von uns mit erarbeitet.
Für Dell geht es darum eine Position zu erarbeiten und sich selbst als Mitproduzent dieser Kultur zu verstehen. Bei den Projekten von Ute Reeh ist zu sehen, dass das Subjekt- Objekt Verhältnis von bestimmtem Gegebenen gar nicht hinreicht, weil man dann nicht zur optimalen Gebrauchslösung kommen. Es muss ein Prozess der konstruktiven Öffnung entstehen. Indem Ute Reeh ihre Arbeit als Performance versteht, ermöglicht sie auch in das Festgefahrene neue Verhandlungsräume einzubringen.

Tischgespräch 4
"Veränderungen bewirken immer auch Widerstand. Wie lässt sich damit arbeiten?"

Vortrag Ute Reeh Entwicklungsprinzipien von Schulkunst

Ute Reeh hat bereits in unterschiedlichen Schulkunstprojekten Erfahrungen sammeln können und stellt dem Fachtag ihre Entwicklungsprinzipien von Schulkunst vor.
In ihrem ersten Punkt betont Reeh die zentrale Bedeutung die Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern selbst zu beginnen. Sie betont die Bedeutung des Wertschätzens (um die guten Dinge zu bewahren) und der Frage nach Veränderungswünschen und Unorten (um an diesen Punkten anzusetzen). Innerhalb der Prozesse kommt es immer zu unerwarteten Wendungen oder auch zu Schwierigkeiten. Diese gehören mit zum Projekt und der konstruktive Umgang mit ihnen stärkt das Selbstbewusstsein aller Beteiligten. Wesentlich ist, dass jeder und jede sein/ihr Projekt im Projekt hat und man gemeinsam in kleinen oder großen Schritten in Richtung Realität geht. Dazu gehört auch zu wissen, wo eigene Grenzen liegen und sich an den Stellen, an denen es erforderlich ist, Hilfe von aßen dazu zu holen (etwa Statiker, Architekten etc.). Grundvoraussetzung für funktionierende Schulkunstprojekte ist eine Schulleitung, die hinter dem Projekt steht. Ein Künstler der von außen kommt und generell keine institutionell verankerte Macht hat, braucht mindestens zwei Partner in der Schule, wovon einer die Schulleitung sein muss.

Ergebnissammlung an den Tischen

Um Ergebnisse, Inspirationen und Fragen, die an den Tischgruppen erarbeitet wurden, ins Plenum zu bringen, sammelt Frauke Burdorff unterschiedliche Stimmen.
Ganz besonders im Zentrum vieler Gespräche stand die Kommunikation. Beispielhaft stehen hier zwei Zitate:
„Wir sind uns einig gewesen, dass es die Kommunikation ist, auf ganz vielen Ebenen, die wichtig ist. Dann ist es auch egal ob jemand von außen kommt (obgleich das immer gut ist). Es gab hier am Tisch auch ein Beispiel wo es innerhalb einer Schule – ohne externe - gut funktioniert hat.“

„Nicht nur die Schülerinnen und Schüler brauchen ein Projekt im Projekt, sondern auch die Verwaltung braucht da eine eigene Projektidentität und auch eine Qualifikation in dieser Sache.“


Zum Abschluss der Tagung spricht Dr. Otto Seydel

Die Voraussetzung dafür, dass Projekte dieser Art gelingen können ist die Kommunikation der Beteiligten.
Am meisten beeindruckt hat Otto Seydel seine Tischnachbarin, Laura aus der Alfred-Herrhausen-Schule. Diese Schulform ist normalerweise völlig im Abseits. Ihre Aussage: „Ich habe Spuren hinterlassen“ erscheint für Seydel essentiell für die Qualität von Schulkunst. Die wenigsten Schüler können diese Aussage von sich treffen. Was bei diesen Schulkunstprojekten entsteht, werden die beteiligten Schüler und Schülerinnen nicht vergessen, weil es ein Stück von ihnen selbst ist. Der Film hat verdeutlicht mit welcher Intensität die Schüler, zu so einem Werk kommen können. Da ist etwas gelungen, wovon jeder Lehrer nur von träumen kann. Es ist bei diesem Projekt gelungen unendlich viele Menschen in aktiver Rolle zu beteiligen und alle hatten den Eindruck: das ist unser Projekt.

Das Geheimnis gelingender Partizipation, oder: Welche Rolle hat der Künstler?
Der Künstler ist in einem solchen Projekt nicht derjenige der Kunst macht. Wen er Kunst machen würde, dann könnte er die Schülerinnen und Schüler nicht beteiligen. Er muss seine Kunst loslassen. Und wenn der Künstler nun sagen würde „ich bin in einem solchen Projekt Lehrer“ dann würde ein solches Projekt wohl auch nicht entstehen. Also die Gradwanderung der Rolle, das ist das eigentliche Geheimnis. Das Entscheidende ist für Seydel dieser unglaublich schmale Grad, auf dem man gehen muss, um genau das hinzubekommen und um die Kreativität der Schüler freizusetzen. Darin liegt das Geheimnis gelingender Projekte.

Frauke Burgdorff: „Um das Ganze strukturell wirksam werden zu lassen, brauchen wir ein Fach Schulkunst!“ Ein Widerspruch?

Für Seydel stellt die Forderung nach einen Schulfach Schulkunst einen Widerspruch dar. Die Qualität von Schulkunst liegt für ihn in der Rolle des Künstlers als Querdenker. Als Lehrer aber unterliege muss ich dem System Schule gerecht werden. Als Künstler kann man diesen Zwängen entgehen, als Lehrer muss man als Teil eines von einem hohen Maß an Bestimmtheit geprägten Systems funktionieren.

Frauke Burgdorff: „Wenn man von Seiten eines Ministeriums aus Mittel für Schulkunstprojekte bewilligen müsste, was wäre dann besser zu sagen „ich weiß ganz genau was ich will“ oder „ich habe da mal eine Frage – Punkt, das war jetzt mein Antrag“. Überfordert solch eine Haltung nicht das System Schule? Ist es dann nicht besser, wenn ich weiß was ich will und so nicht ewig im Prozess hängen bleibe?“

Seydel sagt, dass wenn er Künstler in die Arbeit einbezieht, er grundsätzlich nicht definieren darf was dieser tut. Wenn ein Künstler den Weg und das Ziel definieren würde, dann würde er dies als Geldgeber nicht fördern. Denn dann hat der Künstler das Ziel verfehlt. Der Prozess muss offen bleiben.

Frauke Burgdorff: Warum fällt es Pädagogen schwer offene Entwicklungswege zuzulassen?

Seydel sieht den entscheidenden Grund in den äußeren Rahmenbedingungen von Schule in Deutschland. An den Schulen, vor allem an Gymnasien, herrscht ein enormer Druck. Als Lehrer kann man nur viele sichernde Routinen aufbauen, die einen den Alltag bewältigen lassen. In dem Moment wo ein Künstler an die Schule kommt und diese Routinen stört, weil er andere Perspektiven mitbringt, dann ist es erst einmal mühsam. Offene Prozesse passen nicht in das normale Muster von Schule und innerhalb der Schule wird ein Schutzpanzer aufgebaut. Das ist eine verständliche Reaktion.

Das Idealbild eines Künstlers an einer Schule ist sehr nah demjenigen des Lehrers
„„Es ist geprägt durch das Bild des Gärtners und nicht durch das Bild des Bildhauers. Als Lehrer warte auf das Wachstum. Ich schaffe eine Rahmenbedingung unter der die Pflanze wachsen kann. Manchmal wird sie gut, manchmal wird sie auch nicht so gut. Aber es ist nicht an mir – außer dass ich ein bisschen Wasser gieße und Düngen kann und die Sonne manchmal weghalte oder hintue – es wachsen zu lassen. “

Abschluss
Frauke Burgdorff bedankt sich bei allen Beteiligten und bittet die Schülerinnen und Schüler, Ute Reeh, die Techniker, die Vortragen und das Team auf die Bühne.

Protokoll Natalie Dimic und Judith Ruzicka