Bericht Beirat – erweiterte Sitzung vom 12.12.2011 in Düsseldorf
Beirat
Markus Ambach, Künstler Düsseldorf (in Vertretung für Gregor Jansen)
Frauke Burgdorff, Montag Stiftung, Bonn
Christopher Dell, Komponist und Theoretiker, Berlin
Margaretha Kurmann (Bericht)
Jo Meyer, Architekt, Düsseldorf
Ute Reeh, Künstlerin Düsseldorf
Prof. Johannes Schilling, Architekt, Köln
Dr. Otto Seydel, Schulentwickler, Überlingen
Gäste
SchülerInnen des Berufskollegs
Olaf Schmiemann, Schulleitung Heinrich-Hertz-Berufskolleg, Düsseldorf
Pablo Molestina und Gregor Jansen konnten leider nicht teilnehmen.
Die Terrasse ist gebaut
Ute Reeh gibt einen kurzen Rück- und Überblick über die bisherige Arbeit
an der Alfred-Herrhausen-Schule.
Sie erinnert an den vorsichtigen, vertrauensbildenden Beginn über die Farbgestaltung der
Böden in der Schule, an die Geschichte der Ideen für eine Terrasse, an die Zweifel über
die Glätte des in gemeinsamer Arbeit
mit StudentInnen der Fachhochschule und mit dem Architekten entstandenen
Entwurfs und die Lösungsidee eines zu gestaltenden Handlaufs.
In der Umsetzung durch eine Keramikerin wird als Problem deutlich: wie kann
das Ganze über die Teile der einzelnen Kindern hinaus werden? Dies braucht
eine Person, die sowohl das Detail als auch das große Ganze im Blick hat und
den Kindern spiegelt: „ihr seid eine Klasse/ Schule. Es ist auch eine eurer
Stärken, dass ihr nicht allein seid, ihr bereichert das Ganze und das Gemeinsame
bereichert euch“.
Und: in der Umsetzung passieren immer wieder Pannen. So wurde das Geländer
anders und unbefriedigend gebaut als geplant. Für das Projekt stellt sich
nun die Aufgabe, dies – ohne große Kosten – zu „reparieren“.
Die Umsetzung durch den Zimmermannsbetrieb dauerte aus unterschiedlichen
Gründen viel länger als vorgesehen. Die Terrasse konnte nicht wie vorgesehen
in den Sommerferien fertig gestellt werden. Durch die längere Bauzeit hatte
die Schule über einen längeren Zeitraum eine für SchülerInnen gesperrte Baustelle.
Unmut, Ärger und Aggression von SchülerInnen entluden sich in Sabotageakten
oder Beschimpfungen der Handwerker. Die gute Stimmung der gemeinsamen Bauphase,
als es durch Assistenzen möglich war, die Kinder/Jugendlichen an der Umsetzung
zu beteiligen, schlug um. Dennoch überwiegt bei allen SchülerInnen der Stolz
auf ihre Terrasse.
Ute Reeh hat in ihrem Projekt Reparaturen des Zerstörten möglich gemacht
sowie eine Form der Entschuldigung bei den Handwerkern und MitarbeiterInnen
des Gartenbauamtes, die die Arbeit unter diesen Bedingungen nicht weiterführen
wollten, mit den SchülerInnen gefunden. Auf diese Weise konnten weitere Klassen
mitarbeiten und sich am Projekt beteiligen. Die Begleitung von Ute Reeh war
nötig. LehrerInnen ergreifen eher keine Initiative.
Zum jetzigen Zeitpunkt geht es gemeinsam mit der Schulleitung darum, wie
der offene Raum, der von den SchülerInnen definiert wird als: „selber planen,
selber umsetzen, es kann sich jeder seine eigene Meinung erlauben, die Dinge
werden auch wirklich umgesetzt, alle arbeiten zusammen und haben dabei Spaß“
einen ritualisierten Platz haben kann. Auf Vorschlag des Schulleiters wurde
als nächster Schritt verabredet, „Schulkunst“ oder „Terrasse“ als Schulfach
im Schulalltag zu verankern - um den geschaffenen offen Raum offen halten
zu können und dies in der Schulstruktur zu
verorten.
Beteiligung im Großprojekt
Olaf Schmiemann stellt seine Schule, das Heinrich-Hertz-Berufskolleg vor.
Sie hat insgesamt 3.000 SchülerInnen: ca. 1.000, die jeden Tag in der Schule
sind und 2.000, die nur in Teilzeit da sind. Die Schule besteht – auch aus der
Entwicklung heraus – aus mehreren Einheiten/Fachbereichen, die mehr oder weniger
isoliert voneinander bestehen. SchülerInnen, Lehrkräfte und die Schulleitung
wünschen sich mehr Kommunikationsräume und -möglichkeiten, damit die Schule
insgesamt sichtbarer und erfahrbarer wird.
Es gibt bislang kein LehrerInnenzimmer, sondern einzelne Zellen, in denen
sich die Lehrkräfte je nach Sparte aber auch nach Neigung einfinden. Es gibt
„unsere Bereiche“ aber nicht „unsere Schule“ – sowohl bei den Lehrkräften
aber auch in der Wahrnehmung der SchülerInnen. Dies kann z.B. neue Lehrkräfte
einsam machen. Nach Ansicht von Herrn Schmiemann braucht es ein Forum, einen
gemeinsamen Anlaufpunkt und ein gemeinsames Bild der Schule.
Der geplante Neubau – Bauvolumen etwa 10 Millionen Euro – soll Laborräume
sowie Klassenräume enthalten. Darüber hinaus Raum für mehr „Wir“. Das Schulkunst-Projekt
erlaubt sich, sich an der Planung eines solch großen Vorhabens zu beteiligen.
Das erste Ziel ist, Grundideen vor einer Planung durch das – seit November
2011 vergebene – Architekturbüro zu entwickeln und in die Planung einzuspeisen.
Erste Gespräche mit dem Büro zeigen: es gibt Interesse und die Bereitschaft,
sich auf das Projekt einzulassen.
Raum für mehr „Wir“.
Im Berufskolleg hat sich eine gelebte und lebendige Informalität entwickelt.
Es fehlt eine bewusste Entscheidung für Raum für Informalität und ein entsprechender
Rahmen, eine Struktur dafür – diese sollten so sein, dass sie sehr beständig
sein können. Allerdings reicht es nicht aus, den Raum zu verfestigen. Es
kommt vielleicht nicht so sehr darauf an, den Raum zu haben, sondern darauf,
was in der Praxis tatsächlich passiert. Die gelebte Praxis ist dann der Weg.
Der Beirat diskutiert zur Formalisierung des Informellen. Otto Seydel verweist
auf die Diskussionen dazu im Bereich der Schulentwicklung:
„Dauerhafte und professionelle Zusammenarbeit in dem Kollegium einer Schule
kann nicht allein auf informeller „privater“ Ebene gegründet werden, nicht
sich selbst überlassen bleiben, es braucht belastbare Strukturen. In der
Schulentwicklung ist ein zentrales Thema: „Wie können wir die vertikalen
Strukturen (also die Fachebene) und horizontalen Strukturen (also die Klassen-
oder Jahrgangsebene) zusammen bringen?“ Und zunächst muss die strukturelle Ebene
von mehr nutzbringender Zusammenarbeit geklärt werden, dann kann der Raum dazu
kommen – andersherum funktioniert es nicht. Der Raum allein schafft keine professionellen
Strukturen“
Das Berufskolleg ist auf dem Weg, diese strukturellen Fragen für mehr Gemeinsamkeit
zu klären. Frauke Burgdorf verweist auf die Evangelische
Gesamtschule in Gelsenkirchen von der vielleicht Impulse übernommen
und Erfahrungen genutzt werden können.
Und: Damit Lehrkräfte andere Wege gehen wollen und können, müssen sie die
Erfahrung machen, dass aus Gemeinsamen ein Mehr entsteht.
SchülerInnen des Berufskollegs präsentieren ihre Entwürfe
Ute Reeh hat im Berufskolleg an unterschiedlichen Stellen angefangen, mit
den SchülerInnen zu arbeiten. Die Zeit für diese gemeinsame Arbeit muss in
den extrem engen Arbeits- und Zeitstrukturen des Berufskollegs mühsam gesucht
werden. Die Anforderungen des Zentralabiturs schaffen ein sehr enges Lernkorsett,
Spielraum gibt es kaum. Lediglich in den Fächern Deutsch und Politik in der
Klasse sowie in den handwerklichen Fächern im Bereich Berufsvorbereitung
ist bislang etwas möglich.
SchülerInnentreff umgestalten
Der ehemals als Cafeteria genutzte Raum ist den SchülerInnen sehr wichtig,
wird aber als kalt und unfreundlich erlebt. Essen und Getränke gibt hier
nicht, in der ehemaligen Verkaufszone liegt viel Müll. Die SchülerInnen haben
Vorschläge für eine andere Farbgestaltung erarbeitet
und die Anordnung der Tische und Stühle verändert.
Der Beirat ermuntert dazu, eine SchülerInnenfirma für die Belebung als Cafeteria
zu gründen. Die Cafeteria könnte z. B. von den 12. Jahrgängen betrieben werden,
die dadurch Geld für ihre Abiturfeiern erwirtschaften können.
Ideen für den geplanten Schulneubau
Eine andere Gruppe von SchülerInnen stellt die in kurzer Zeit erstellten Modelle
für den geplanten Neubau vor. Ausgangsbasis war jeweils eine dem
Bauvolumen äquivalente Knetmasse.
Diese Ideen stecken darin:
- Vielen ist die Einbindung von und der Bezug zur Natur wichtig: Baum erhalten;
Bestehendes wertschätzen und Kahlschlag verhindern; Baum und damit Jahreszeiten
als Teil des Gebäudes. Christopher Dell weist darauf hin, dass im alten China
Schulen am Wald gebaut wurden, weil Kinder besser lernen, wenn sie grün sehen.
- Einen Mittelpunkt in der Schule zu schaffen
- Viel Licht und gute Ausblicke, einen freien Blick aus allen Räumen; Glas
kann ein Gefühl von „draußen lernen“ vermitteln.
- Verbindung – in der Luft oder anderswo – zur Aula schaffen
- Runde Klassenräume – hier lernen SchülerInnen vielleicht lieber; es entstehen
ganz unterschiedliche Räume.
- Rundes Gebäude zwingt dazu, sich – in der Mitte – zu treffen. Frage aus
dem Beirat: Wo ist die Mitte der Schule?
- Gebäude soll auch ein Zeichen nach außen sein – für „unsere Schule“. Die
SchülerInnen möchten sich mit dem Guten, Besonderen ihrer Schule zeigen und
gesehen werden: Gebäude in H-form – Zeichen für Heinrich-Hertz-Berufskolleg.
Johannes Schilling weist darauf hin, dass die Aufmerksamkeit nach außen auch
über einen Torbau erreicht werden kann.
- Mal etwas ganz anderes ausprobieren
Gestaltung des Geländes
Andere SchülerInnen haben sich mit dem Gesamtgelände befasst:
Wo soll was hin?
Die bestehende Mensa ist nicht schön, wird aber viel genutzt. Wie wichtig
ist ein zentraler Schulhof? Wie können die Lichtverhältnisse – Sonne – berücksichtigt
werden? Was kann man aus dem Platzverhalten der RaucherInnen lernen? Sie
stehen immer in der Sonne.
Otto Seydel weist auf die Veränderungen und Weiterentwicklung in der aktuellen
Schulbaudiskussion hin und stellt in Frage, nur an klassische Schulräume
zu denken. Ist es nicht sinnvoll, die Räume so anzulegen, dass sie für vielfältige
Lernformen offen sind: für Einzelarbeit, Rückzug z.B. zum Lesen, für Recherche
und für Gruppenarbeit. Unterrichtsräume sollten in Zukunft flexibel und aufeinander
bezogen sein. Bewegliche Trennwände können andere Formen des Unterrichts
ermöglichen und begünstigen. Um solche flexiblen Räume zu entwickeln sollte
im Projekt nun eine Planung von innen nach außen anstehen.
Christopher Dell fragt die SchülerInnen nach der Dokumentation ihrer Ideen.
Wo ist der Katalog mit all dem, was gedacht, besprochen ist? Er ermutigt
sie, das, was von ihnen selbst kommt, mit dem gleichen Ernst und der gleichen
Sorgfalt und Selbstverständlichkeit festzuhalten und zu dokumentieren, wie
das, was von außen kommt, z.B. im Chemieunterricht, wo alles schriftlich
festgehalten wird.
Sich zeigen und gesehen werden
Eine letzte Gruppe SchülerInnen stellt ihre Ideen für die Gestaltung des
Außen des neu zu bauenden Gebäudes vor. Unter dem Titel „Intelligente
Außenhaut“ präsentieren sie:
- Eine Fassade, die sich je nach Wetter/Temperatur ändert.
- Eine Designlinie, falls dies für die ganze Außenhülle zu teuer wird.
- Eine Außenhülle, über die auch Strom gewonnen wird. Dies passt nach Ansicht
der SchülerInnen sehr gut zu den Ausbildungsgängen des Berufskollegs und
zu der Verantwortung, die für die Welt ansteht. Die Schule kann und sollte
ein Zeichen setzen.
- Eine Fassade als Sonnenuhr
- Eine bewachsene Fassade
Hinweis aus dem Beirat: Warum nicht ein Buch aus den Ideen im Deutschunterricht
erstellen?
Besuch in der Alfred Herrhausen Schule
Am Mittag sind wir wieder in der Alfred Herrhausen Schule. Nachdem die Terrasse
gebaut ist, haben die SchülerInnen in einem nächsten Schritt begonnen, filmisch
zu dokumentieren, was im Projekt passiert. Dabei werden sie unterstützt von
Studentinnen der Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Design, Lehrbereich
AV Medien/Film.
Die SchülerInnen finden den entstandenen Film,
den sie dem Beirat zeigen, wichtig für den Kontakt mit den GeldgeberInnen für
ihre Terrasse. Sie möchten zeigen, was mit dem gespendeten Geld passiert ist.
Vorweg haben die Studentinnen mit den SchülerInnen besprochen, was sie zeigen
möchten und wie sie es umsetzen wollen. Dem Beirat gefällt, wie es ihnen eindrücklich
gelungen ist, mit der Kamera dicht am Geschehen und auch an einer Sache dran
zu bleiben. Die Länge der Sequenzen ist manchmal etwas überzogen. Diese Ansicht
teilen die SchülerInnen.
Nach den Filmen erzählen zwei Schüler, wie sie die von SchülerInnen angerichteten
Schäden repariert haben.
Auf Nachfrage bestätigen sie, dass ihnen dies Spaß gemacht hat.
Austausch Beirat
Im Anschluss an die unterschiedlichen Präsentationen in den Schulen ist im
Beirat Zeit für einen Austausch zum bisherigen Verlauf im Projekt. Die
Stimmung im Berufskolleg und in der Förderschule wird als sehr anders erlebt.
Im Berufskolleg kommen die Ideen eher aus einem fachbezogenen, architektonischen
Blickwinkel – in der Förderschule geht es darum, „was brauchen wir?“, „was
möchten wir haben?“. Zudem ist das Projekt hier überschaubarer und damit auch
von den Kindern auf den ersten Blick besser handhabbar. Im Berufskolleg orientieren
sich die SchülerInnen sehr an der Präsentation, „Identifikation“ erscheint
als wichtiges Thema. Der Anspruch an den Bau als soziale Form ist hier dagegen
nur wenig sichtbar.
Der Beirat befasst sich mit der Frage, wie kommt man in der Arbeit mit den
jungen Menschen weg vom Klischee? Es muss vieles geordnet abgearbeitet werden,
um über die Klischees hinausgehen zu können. Dazu gehört auch, den Fokus
umzudrehen und nicht von außen sondern von innen zu schauen.
Christopher Dell fordert, formal und nicht “kreativ“ an die Sache heranzugehen
– das Kreative könne sonst nichts werden. Dabei geht es ihm nicht darum,
formell gegen informell auszuspielen, wohl aber zu betonen: hier ist eine Distanz
zwischen Wissenden und Unwissenden (Jacques Rancière), diese gilt es zu befolgen
und nicht zu verschleiern. Wenn Form als Politisches ernst genommen wird, kann
Bestehendes geklärt werden.
„So bedeutet Form hier Gestalt und Ordnung im übergeordneten Sinn, also Metaform,
die Prozesse rahmt und thematisiert, dass hier gerahmt wird und zu welchem
Zweck. Wenn dies nicht geschieht, haben wir nur noch Künstler in den Schulen,
die nicht ihre Fähigkeit zur Arbeit an und mit der Form an die Kinder weitergeben,
sondern Abenteuerspielplätze bauen, in denen sich die Kinder vor der ökonomisierenden
Wirklichkeit fürchten dürfen.“
Grundsätzlich gilt: Das Projekt ist kein Architekturbegleitungsprozess. Dieser
Aspekt wird auch im Austausch mit den Gästen noch eine Rolle spielen.
Welcher Maßstab
Deutlich ist in der Förderschule: dies ist unsere Terrasse! Dies ist augenscheinlich
stimmig, weil die SchülerInnen im ganzen Prozess beteiligt waren. Für einige
Beiratsmitglieder stellt sich für den Neubau im Berufskolleg die Frage nach
dem Maßstab: ist der Maßstab und der Anspruch angemessen oder eine Nummer
zu groß? Dies könne Kreativität verhindern, vielleicht wäre damit auch Frust
für die SchülerInnen vorprogrammiert? Auch am Nachmittag im Austausch mit
den Gästen steht die Frage nach einem „richtigen
Maßstab“ zur Diskussion. Wie und bis zu welchem Maßstab können SchülerInnen
im Projekt gehalten werden? Liegt der Wert der Dinge nur im unmittelbaren Handlungsbereich
der SchülerInnen?
Ute Reeh hat in ihrer Arbeit immer wieder erlebt, dass oft eher „große“ Vorhaben
für die Arbeit nicht „zu groß“ waren. Christopher Dell wendet ein, dass die
Normalität für uns alle fast immer zu groß sei. Das ist unser aller Alltag.
Er plädiert für einen theoretischen Diskurs darüber und dafür, anhand eines
solchen konkreten Projekts einen möglichen Weg zu suchen.
„Diese Frage haben wir alle nicht gelöst. Wir alle, aber auch diejenigen,
die im politischen Raum Entscheidungen treffen, tun dies nicht in ihrem Maßstab,
sondern weit darüber hinaus. Wir/ sie alle handeln in Maßstäben, die sie
nicht verstehen und zu Dingen, von denen sie nichts verstehen.“
Kristallisationspunkt
Ute Reeh weist darauf hin, dass sie im Projekt nach ihrem Verständnis erst
einmal an dem Punkt sind, den Raum für die Ermöglichung des Eigenen – „mein
Ding“ - im Prozess zu finden. Wichtig ist allerdings: das müssen die SchülerInnen
wissen und verstehen. Ihnen muss klar sein, was sie gerade machen und woran
sie beteiligt sind.
Johannes Schilling fokussiert:
„Wie kann man wirklich auf neue Ideen kommen? Ist die Ideenfindung in diesem
konkreten Fall durch den Fokus auf das konkrete Bauvorhaben nicht zu eng
gesetzt? Möglicherweise kann das reale Bauprojekt zum Kristallisationspunkt
werden. Um zu lernen und z.B. über die Auseinandersetzung mit der Schulumgebung
und der Umgebung, in der der neue Bau entstehen soll, zu einer Problemstellung
zu kommen.“
Am 21.12. ist ein Workshop von Schule und Architekturbüro vorgesehen. Der
Beirat sorgt sich, dass dies zu diesem Zeitpunkt sehr schwierig sein und
zu Frustration bei den SchülerInnen führen kann.
Der nächste Schritt im Projekt am Berufskolleg könnte eine umfassende Recherche
sein: alles, was zu einem solchen Projekt gehört, auseinander zu nehmen.
Dies braucht allerdings viel Zeit. Denkbar wäre z.B. eine Recherchearbeit
mit einem Fachmenschen z.B. Johannes Schilling.
Umgang mit dem was ist
Es gibt im Berufskolleg nur sehr wenig und zusammengeklaubte Zeit für das
Vorhaben. Aber: nur weil mehr Zeit ist, bedeutet dies noch nicht mehr Qualität
– zumindest nicht automatisch. Viel wichtiger erscheint die Frage, inwieweit
können wir mit dem gegebenen Kontext arbeiten? Wie wird es möglich, sich
den Handlungsraum selbst aktiv anzueignen und eigen-ermächtigt zu nutzen?
Also den Kontext nutzen, der gegeben ist und nicht einen Rahmen vorsorgen.
Und darin Räume erweitern, Kontingente suchen, finden und für mehr nutzen.
So wird der Umgang mit dem Bestehenden zum Ziel. Bezogen auf die Schule bedeutete
dies: der Wert ist nicht das Zeugnis, sondern das Lernen für sich selbst.
Dazu Ute Reeh:
„Meine Erfahrungen sind: wenn das, was wächst, gut ist, wird der Raum größer
und mehr ist möglich.“
Wenn die Qualität darin liegt, mit dem umzugehen, was ist, hat dies Auswirkungen
auf die Rahmenbedingungen, die eine solche Arbeit braucht oder möglicherweise
gerade nicht braucht.
Austausch mit Gästen
Nach einem leckeren von der Schülerfirma zubereiteten
Mahl und einem erstem informellen Austausch in der Alfred-Herrhausen Schule,
trifft sich der Beirat mit den Gästen aus Düsseldorf, Hannover, Berlin und
Bremen zum Gespräch. Gästen, die Interesse an der Arbeit des Projektes haben:
der mögliche Beginn eines Netzwerkes. Herzlich willkommen!
Zu Beginn stellt Peter Zerfass seine
Schule und ihre Besonderheiten vor. Die Schule versteht Inklusion
auch darin, gemeinsame Bildung von allen Kindern im Stadtteil zu ermöglichen.
Der zweite Teil des Tages ist der Frage nach dem Transfer der
bisherigen Arbeitsergebnisse gewidmet – was ist und wie an anderer Stelle mit
anderen Menschen möglich und übertragbar?
Christiane Oppermann, Künstlerin aus Dresden arbeitet aktuell in Schulumzugsprojekten.
Andrea von Lüdinghausen hat in Hannover das „Mobile Atelier“ für Kindergärten
initiiert und engagiert sich nun auch in der Schule. Fee Kyriakopoulos begleitet
Raumprojekte in Berliner Schulen als Architektin. Doris Weinberger, Bildhauerin
aus Bremen, kennt Schulprojektarbeit und wurde zusammen mit Birte Endrejat,
Künstlerin aus Berlin von der Bremer Kulturverwaltung angesprochen. Birte
Endrejats künstlerischer Schwerpunkt ist das Durchleuchten von Strukturen. Sabine
Jacobsen ist Schulleiterin der Neuen Oberschule in Bremen Gröpelingen und möchte
den Neuaufbau gerne nutzen. Dr. Rose Pfister ist im Land Bremen zuständig für
Kunst im öffentlichen Raum. Sie fühlt sich von der Projektidee von Ute Reeh
auch für Bremen, wo es keine Kunst-am-Bau-Mittel mehr gibt – angesprochen. Theodor
Bremer engagiert sich als stellvertretender Amtsleiter im Schulverwaltungsamt
Düsseldorf für Kunst am Bau. Dirk Schnelle, Schulleiter im Gymnasium Gerresheim
in Düsseldorf, kann leider nicht bleiben, ist aber an einer solchen Arbeit sehr
interessiert und bedankt sich für das, was er schon hat mitnehmen können.
Ausgehend vom ihrem künstlerischen Selbstverständnis zeichnet Ute Reeh zu
Beginn die Entwicklung der Projekte noch einmal für die Gäste nach.
Frauke
Burgdorff moderiert:
„Gemeinsam wollen wir uns die Spielregeln und Mechanismen anschauen und herausfinden,
was ist wichtig für den Transfer. Das Projekt Schulkunst von Ute Reeh hat
eine klare Haltung, eine künstlerische Idee und ein paar Regeln. Was ist
für andere Standorte und für andere KünstlerInnen in Schule übertragbar?“
Spurensuche
Der Beirat und die Gäste fragen nach den Spuren im sozialen Zusammenleben
der Schule nach dem bisherigen Projektverlauf. Peter Zerfass:
„Alle Klassen, alle Lehrkräfte sind beteiligt. Ute Reeh ist durch alle Klassen
gegangen, in Konferenzen ist sie präsent und aktiv eingebunden. Entstanden
ist „unsere“ Terrasse. Deshalb wollen wir im nächsten Schritt den „Offenen
Raum“ als Schulfach strukturell verbindlich machen. So entsteht ein neues Schulfach.
Angedacht sind etwa 1-2 Stunden die Woche, aber auch eine Nutzung des Stundenkontingents
als Block soll möglich sein.“
Peter Zerfass beschreibt, dass das Schulkunstprojekt den Teamgeist der gesamten
Schule fördert. So waren bei der Geldakquise, Planung und Umsetzung alle
beteiligt. Er hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass an der Alfred-Herrhausen-Schule
der sich ziehende und langatmige Bauprozess die Geduld aller strapaziert
und auch die Stimmung gedämpft hat.
Otto Seydel:
„Es geht nicht um Kunst in der Schule, sondern um KünstlerInnen in der Schule
– eine produktive“ Störung der Systeme geht nur über und durch reale Personen.“
Sabine Jacobsen betont, dass sie eine solche Arbeit nicht als Störung empfindet,
sondern dass Schule heute viel offener ist. Schulkunst kann zur Weiterentwicklung
und Qualifizierung von Schule beitragen. Kinder sollen heute in der Schule
zu Entscheidern werden.
Ute Reeh nimmt allerdings eine ungeheure Angst davor wahr, SchülerInnen wirklich
entscheiden zu lassen, auch bei sehr engagierten Menschen in der Schule.
Die Kunst an der Schulkunst
Das, was ein Architekt an ein paar Tagen entwickelt
– dafür haben viele SchülerInnen und andere an der Terrasse in der Alfred-Herrhausen
Schule Beteiligte ein halbes Jahr oder länger gebraucht ... worum geht es
also? Zur immer wieder kehrenden Frage nach dem Künstlerischen an der Schulkunst
kreisen die Antworten um eine Plädoyer für Prozessorientierung. Dabei ist
wichtig: Beteiligungsverfahren sind noch kein künstlerischer Prozess, sondern
erst einmal nur Beteiligungsverfahren.
„Wichtig ist in der künstlerischen Arbeit, Kinder in ihrer Gestaltungslust
ernst zu nehmen – für Planungen von Bau und Umbau. Kinder sind prädestiniert
dafür, wo sie sich wohl fühlen – und für schnelle Wechsel. Kinder können
das gut.“ Christiane Oppermann
„Kinder haben Erfahrungen gemacht, wie sich Ideen umsetzen lassen, wie und
wo Kompromisse entstehen – das ist wichtig.“ Jo Meyer
„Der Wert liegt im Prozess und in der Erfahrung im Prozess an den konkreten
Bedingungen von Schule etwas verändern zu können.“ Otto Seydel
„Für mich ist das Wichtige an der Kunst, gemeinsam mit den Kindern herauszufinden:
wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Das Wichtige ist nicht so sehr, sich am
Objekt zu orientieren.“ Theodor Bremer
„Diese Arbeit braucht nicht einfach KünstlerInnen, sondern KünstlerInnen
mit einer bestimmten Haltung. KünstlerInnen, denen es nicht um die Umsetzung
ihres subjektiven autonomen Willens geht. Es muss geklärt werden, welche
Kunstformen und welche Art von KünstlerInnen diese Arbeit braucht.“ Christopher
Dell
Fee Karyopoulos berichtet über den Prozess der Arbeit in Berliner Schulen.
Hier musste der Ort für Berufs- und Lebensfragen – ein Raum für Beratung
und mehr in einer Schule – erkämpft werden. Sie haben ihn dann mit dem im
Keller vorgefundenen ausrangierten Dingen ausgestattet: gemeinsam mit den
Kindern, Heranwachsenden, Jugendlichen. Dies war kein Auftrag, der übernommen
wurde, sondern der selbst gegebene Auftrag, das eigenen Projekt derjenigen,
die sich dafür engagiert haben.
Ute Reeh verweist auf die unterschiedlichen Ebenen der Arbeit. Eine davon
liegt im eigenen künstlerischen Anspruch – an eine Performance, die nicht
dingbar ist.
„Die Qualität der künstlerischen Arbeit liegt darin, auf die Reise zu gehen,
auch in der Überforderung – z.B. durch ein großes Bauvorhaben – gemeinsam
mit den Kindern und mit der eigenen Fachlichkeit. Die Qualität der Arbeit
liegt auch darin, mit homöopathischen Dosen Bewegung in Systeme zu bringen.“
Mit Zeichnungen und Filmen versucht sie eine Form zu finden für das, was
in den Schulen passiert. Für sie ist das bewusste Umgehen mit der Form die
Kunst. Im Projekt ist für sie der Maßstab zweitrangig. Wichtig ist, die Nähe
aller Beteiligten zum Projekt zu gewährleisten.
Wirkung.
Dauer
Eine andere wichtige Frage auch mit Blick auf einen Transfer bezieht sich
auf die Wirkdauer des Gestalteten. In Bremen wurden in den 80ziger Jahren
viele Schulhofgestaltungsprojekte umgesetzt. Die jetzige Generation hat keinen
Bezug mehr dazu, es fehlt die Verbindung zu dem früher Gestalteten.
Markus Ambach:
Als Künstler habe ich den Anspruch, dass ein Kunstwerk seine Wirksamkeit
weiter entfaltet. Wenn es eine Terrasse ist mit der Erinnerung einiger Weniger
– dann ist es eben nur eine Terrasse aber keine Kunst. Es braucht Formen
des Weitererzählens, wir müssen Systeme erfinden, die weiterwirken.“
Scharfes eigenes Interesse und Auftrag
Ich will was – ein eigenes, scharfes Interesse ist ein guter und wichtiger
Start für eine solche Arbeit. Dabei können Anfragen von außen konfrontieren
und das eigene Projekt schärfen.
Rose Pfister:
„Qualität entsteht unter der Voraussetzung eines künstlerischen Ansatzes
von prozesshaftem Arbeiten und konzeptionellem Denken. Auf KünstlerInnen
zu warten, bis eine kommt wie Ute Reeh, kann nicht der Weg sein. Das ist
zu zufällig.“
Markus Ambach widerspricht. Eine solche Arbeit ist keine Auftragsarbeit,
dadurch entsteht eine Hierarchie von Auftraggeben und Auftragnehmen.
Sabine Jacobsen:
„Schule ist viel weiter, als hier oft angenommen wird und wie die Erfahrungen
der hier Beteiligten Erwachsenen aus eigener Schulzeit zu sein scheinen.
Ich habe als Schulleiterin den Anspruch an KünstlerInnen, dass sie gemeinsam
mit allen etwas hinkriegen. Über das eigene künstlerische Projekt hinaus
erwartet ich auch etwas für die Schule, das mit dem Schulkonzept zu tun hat
und nicht nur künstlerische Arbeit.“
Andrea von Lüdinghausen verweist darauf, dass in Projekten viel mehr Energie
sein kann als in dauerhafter Arbeit. Sie sieht darin eine Chance temporärer
Kunst. Sie betont, das "Ende" eine Schulkunstprojekts sollte Räume
für Neues öffnen und kein fertiges Produkt darstellen.
Theodor Bremer weist darauf hin, wie wichtig es ist, auch die anderen am
Prozess Beteiligten zu sehen und z.B. Menschen aus der Verwaltung nicht nur
als Störenfriede oder Verhinderer wahrzunehmen.
Auf die Frage, was den SchülerInnen nach dem Schulkunstprojekt bleibe, antwortet
Jo Meyer: „Schüler haben Erfahrung mit Machbarem und Nichtmachbarem gemacht.“
„KünstlerInnen in einer Schule haben mit temporären Projekten Einfluss auf
die Denke innerhalb einer Schule.“ Rose Pfister
Themensammlung für den Fachtag 2012
Für die weitere Vernetzung und Konkretisierung des Transfers werden Interessierte
an dieser Arbeit 2012 zu einem Fachtag eingeladen. Der Fachtag soll dazu
dienen, Wege erklärlich zu machen, den Anspruch an die Arbeit zu verdeutlichen.
Mögliche Ziele
• Wechselseitige Anregung über Konzepte, Abläufe und Präsentationsformen
unterschiedlicher Projekte
• Austausch über Strategien zur Überwindung von typischen Konfliktkonstellationen
bei der Begegnung von KünstlerInnen, SchülerInnen und Lehrkräften
• ExpertInnenmarkt
• Sensibilisierung von EntscheiderInnen (Schulleitungen, Schulträgern) für
die spezifischen Chancen der Begegnung von Kunst und Schule
Präzisiert werden muss, wer eingeladen werden soll: aktive SchulkünstlerInnen,
aktive Schulen (mit oder ohne SchülerInnen), potenzielle SympathisantInnen
unter den EntscheiderInnen, interessierte Schulen, FachexpertInnen aus Kunst
und angrenzenden Fächern.
Der Fachtag kann im besten Fall der Auftakt für eine Netzwerkbildung sein.
Dies muss in der Vorbereitung berücksichtigt werden. Ist der Fachtag ein unverbindlicher
Begegnungstagung oder Netzwerkbildung mit einem stabilen Knotenpunkt, eine einmalige
Veranstaltung oder mehrstufige Serie?
Setting
• Ein Tag oder ½ Tag + Übernachtung + ½ Tag
• Teilnehmerzahl klein (40+/-) oder groß?
Ideen zu Arbeitsformen
• Impulsvortrag mit streitbarem Podium im Anschluss
• Arbeitsgruppen mit ModeratorIn + Kurzinput
• Auswertung der Arbeitsgruppen über „gallery-walk“
• Gemeinsame Aktion
• Markt der Möglichkeiten mit Präsentationen durch SchülerInnen
• Critical-Friend-Feedback
Dies sind die Fragen, denen die Beteiligten am Fachtag auf den Grund gehen
sollten:
- Ebenen von Schulbau bewusst machen. Gesamtprozess ansehen und verstehen
lernen, mit allen Akteuren und dadurch die Spielräume erkennen und finden.
- Wo sind KünstlerInnen richtig am Platz? Wo sind Grenzen? Was sind angemessene
Projektdimensionen? Kann man Pakete packen und wie geht das?
- Temporalität und Dauerhaftigkeit. An welchen Stellen im Prozess ist künstlerische
Arbeit zu setzen und wo kann man andocken?
- Dauerhaftigkeit: wie kann sich prozessuale Kunst verlängern, immer wieder
aktualisieren? Prozess versus Produkt.
- Was kann ein Künstler mehr als eine Architektin kann? Rolle des/der Künstlers/
Künstlerin: VorzeichnerIn oder NachzeichnerIn? ErzeugerIn oder Hebamme?
- Was ist das spezifisch Künstlerische gegenüber anderen Ansätzen, die auf
Selbstwirksamkeitserfahrung setzen: Beteiligungsverfahren, Sozialpädagogik,
kreatives Lernen ....
- Welche Kunstformen machen so etwas? Können so etwas machen?
- Erwartungen und Grenzen aufzeigen
- Finanzierungsmodelle
Wir möchten darüber hinaus reden über:
Schulfach „Schulkunst“: was ist das? Kann, soll das sein?
Architektur als der 3. Pädagoge: Räume sprechen eine Sprache und sollen das
auch. Also Räume für Kinder schaffen, in denen sie gut lernen können?
Wie schafft Schule den Spagat zwischen dem, was sie sein muss und dem was
sie sein will?
Eine Arbeit im Territorium – unter den Bedingungen von abgesteckten Revieren.
Gibt es ein gemeinsames Ziel für Schule und Kunst – welches ist das?
Braucht das Projekt Rahmenbedingungen und Strukturen oder ist es vielmehr
so, dass die Qualität gerade darin liegt, mit dem Vorhandenen zurecht zu
kommen und hier Impulse zu setzen. Gibt es Dinge, die aber immer sein müssen:
Ressourcen, Kompetenzen ...
Wie weit kann man kreative Prozesse formalisieren? Und wie geht das?
„Es geht ums Bauen – Künstlerische Arbeit, KünstlerInnen können etwas in
Bewegung setzen, etwas anstoßen. Sie können durch Ihre Ausbildung ein Werk
denken und es in den Kontext setzen, ohne auf die Routinen und Zwänge eines
Bauprozesses Rücksicht nehmen zu müssen. Darin unterscheiden sich Künstler von
Architekten.“ Jo Meyer
Danke an Peter Zerfass für die freundliche, aufmerksame und umsorgende Aufnahme in der Alfred Herrhausen Schule mit der Bitte, dies an alle weiterzugeben, die dafür mit Sorge getragen haben.
30. Januar 2012
Margaretha Kurmann