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Wiesencafé

Bauvorbereitungen 2019/2020

Bau-Hütte – 14. bis 20. September

Schritte, Menschen, Hammer, Autos, Schmatzen, Schreie, Wiese, Bohrer, Unterhaltungen, Bommern.

Kartierungen der Plattform Wiesencafé. Zusammenarbeit der Klasse Scheller, Alfred- Herrhausen-Schule und Fabian Laute

Auf der Plattform Wiesencafé am Wittenberger Weg eröffnete sich eine Woche lang ein gemeinsamer Raum; einer, in dem Kinder und Erwachsene lernten sich zu vertrauen, zusammen Ideen zu entwickeln und bereits vorhandene umzusetzten.

"Ich beobachte, wie eine Schülerin mit einem Studenten der Kunstakademie Münster zusammen an einem Tisch im Schatten neben der Plattform sitzt. Er übersetzt ihre Erzählung, die sich anhand des gekneteten Modells eines Wasserspeiers vollzieht, in eine präzise Zeichnung. Er fragt nach, aber kommentiert nicht. Als ich die Schülerin fragte, wie sie auf ihren Entwurf gekommen sei, erzählt sie mir: „Das ist einfach so passiert!“" Feldnotiz FL

Während der ersten fünf Tage besuchte die Klasse Scheller der Alfred-Herrhausen-Schule die Plattform Wiesencafé. Ein struktureller Ankerpunkt war die morgentliche Gesprächsrunde. Eine kurze, einleitende Geschichte machte die Tragweite und den besonderen Wert der gemeinsamen Arbeit deutlich – zum Beispiel von einem von Kindern entworfenen und zusammen mit Studenten_Innen umgesetzten siebenbeinigen Hocker, der nun in einem Museum ausgestellt ist. Während der Morgenrunde wurden die Aufgaben für den Tag von den Erwachsenen vorgestellt; die Kinder verteilten sich, je nachdem worauf sie Lust hatten, auf die Erwachsenen.
Die so zustande gekommenen 1:1 Patenschaften waren während der Woche das, was ein gemeinsames Arbeiten auf vertraute und unmittelbare Weise ermöglichte und ein gegenseitiges Lernen mit und durch den Anderen beförderte.

"Während der Morgenrunde sitzen wir unter einem großen Zeltaufbau. Dieser ist zeitgleich Sonnenschutz während der heißen Tage und Sinnbild für die Art und Weise, wie sich über die Woche hinweg mehr und mehr eine organisatorische Struktur eingerichtet hat. Anfangs zurückhaltend wurde der gemeinsame Aufbau des Zeltes später zu einer Selbstverständlichkeit, zu etwas, das man nicht alleine, sondern nur zusammen schafft und bei dem es auf jede/n Einzelne/n ankommt. Das ermöglicht eine Arbeit, die sich vor Allem durch ihre „Qualität“ auszeichnet, dadurch, dass alle „Freude haben und genießen“, „alle konzentriert arbeiten“, „dass alle zuhören, dass alle anschauen und zuhören“. Es heißt „glücklich springen können, in der Coronazeit“ (Zitate Johannes, Schüler der Alfred-Herrhausen-Schule)." Feldnotiz FL

Eine der Hauptaufgaben während der Woche war der Bau einer Sitzbank mit Lehmfundament. Diese errichteten die Schüler_Innen zusammen mit dem Lehmbaumeister Christian Hansel und Architekturstudenten und erprobten dabei die Arbeit mit Weller-Lehm. Auch die Zulieferer des Lehmbaustoffes waren zu Gast, um bei der Verarbeitung des Materials „in vivo“ dabei zu sein. Es sei auf diese Weise eher möglich in Zukunft Verbesserungen des Baustoffes vorzunehmen.

"Mit meinen Füßen stampfe ich den kalt-feuchten Wellerlehm. Neben mir: Frau Scheller, Christian, Ensen und Leonie – eine Lehrerin, ein Lehmbaumeister, ein Entwickler für Lehmbaustoffe und eine Schülerin; und ich. Ich bin da irgendwie reingerutscht, in dieses haptische und soziale Ganzkörpererlebnis. Es riecht nach angebratenen Gewürzen, im Hintergrund das Geräusch einer Stichsäge vor dem schmatzenden Lehm. Schritt für Schritt und Klumpen für Klumpen fühle ich mich mehr verbunden. Christian berichtet mir von seinen Erfahrungen mit dem Lehmbau in Israel und Marokko, während mir Ensen die genaue Struktur von Lehm erklärt; das ist hier „wie im Kindergarten“ sagt Leonie." Feldnotiz FL

Immer wieder wurde deutlich, wie verschiedenste Ebenen der Zusammenarbeit in einem Moment zusammenliefen. Persönliche Geschichten und Fachwissen, neue Ideen und biographische Assoziationen, Spaß am Umgang mit Materialen und Werkzeugen: ein solches Nebeneinander, ein Arbeiten aus der Mitte heraus, das ließ sich immer wieder beobachten und am eigenen Körper erfahren.
Insofern ist der Weller-Lehm, welcher durch seine unzähligen Querverbindungen aus Stroh eine zunächst diffuse Masse in Schichten zu einem Objekt stabilisiert nicht nur physisches Baumaterial, sondern ebenso Symbol für die Arbeitsweise, die während dieser Woche praktiziert wurde: Sie zeichnet sich durch den Bau einer sozialen Architektur aus, die durch ihre Vielschichtigkeit an Form gewinnt und die durch scheinbar zufällige Querschläge einen kohäsiven und expansiven Charakter erhält.

Neben dem Lehmbau war eine weitere Konstante der Woche das Angebot des Künstlers Martin Kaltwasser, Gastkünstler im Rahmen des Programmes „Artists in Wittenberger Weg“. Er leitete in dieser Zeit den Bau hölzerner Wandreliefs an, um das Umfeld der Plattform optisch umzugestalten. Hierbei erhielt er tatkräftige Unterstützung der Klasse Scheller und von Kindern aus der unmittelbaren Nachbarschaft.

Insbesondere die Nutzung des Werkzeugs erschien hier besondere Effekte hervorzubringen: verschiedenste Sägen, Akkuschrauber und Bohrer, Hämmer und andere Utensilien wurden von den Kindern genutzt. Insbesondere Julien, ein Junge aus der Nachbarschaft verbrachte zahlreiche Stunden vor Ort, um beim Bau der Wandreliefs zu helfen. Über die Tage hinweg fand eine immer stärkere Verknüpfung der Kinder und Jugendlichen mit bestimmten Werkzeugen statt. Für Leonie war es beispielsweise der Hammer, für Julien die Stichsäge, für Joel das Küchenmesser, oder für Johannes die Kamera. Diese Materialien traten auf der einen Seite als bloße Werkzeuge zur Erweiterung des eigenen Handlungsspielraumes auf. Auf der anderen Seite jedoch brachten sie Verhaltensweisen und Identitäten mit hervor, die ohne sie nicht in Erscheinung getreten wären. Diese Werkzeuge waren konstitutiver Teil einer temporären Identität; Teil eines persönlichen Gefüges am Wittenberger Weg. Und die Knetmasse, als auch die Stichsäge waren insofern mehr als Ausdrucksmittel, sie waren elementar Mitwirkende innerhalb der temporären sozialen Architektur, die sich über die Woche hinweg einrichtete.

In Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Paulo de Queiroz erstellten die Schüler_Innen in der Woche eine Serie von Kurzfilmen, bei welcher ein steinerner Kopf am Benrather Bahnhof zum Thema historischer Fiktionen wurde. Aufgezeichnet mit Mikrofon und Kamera in einem Filmkasten erzählten die Kinder ihre Geschichten über die Herkunft des Kopfes mit ihren Zeichnungen, ihren Händen und ihrer Stimme.
Es kam zu einer ganz eigenen Geschichtsschreibung um den Stadtteil, Geschichte wurde hier wortwörtlich zu einem gegenwärtigen Geschehen an dem jeder Teil hat.

Jeden Tag formierte sich ein neues Team um den Koch und Künstler Felix Ersig. Der Prozess des Kochens hatte auch Auswirkungen auf die Arbeit der anderen Gruppen: Durch Geräusche und Gerüche begleitete er die Arbeit und stellte immer wieder die wohlverdiente Pause in Aussicht.
Beim gemeinsamen Essen teilten Kinder und Erwachsene das Geschehen des Tages miteinander und konnten ihren Wünschen für die kommenden Tage Raum geben. Darüber hinaus war es einer der Momente des Tages, in dem alle zusammensaßen. Durch das gemeinsame Essens wurde ein horizontales „Beisammensein“ gefördert, denn jeder war hier auf seine grundlegendenen Bedürfnisse zurückgeworfen. So wurde das Vertrauen in die jeweils Anderen auf eine Weise bestärkt, bei der niemand dem Anderen etwas voraus hatte – alle steckten sich gewissermaßen auf gleiche Weise den Löffel in den Mund.

Am Wochenende vom 18. bis 20. September war die Plattform Wiesencafé außerdem als „Off-Raum“ Teil der Kunstpunkte Düsseldorf – einem Format bei dem Künstler_Innen ihre Ateliers öffentlich machen. Das Zentrum für Peripherie e.V. brachte die Plattform als zugleich partizipativen und öffentlichen Raum in dieses Format ein. Die Ergebnisse der vorangegangenen Tage, die Wandreliefs, die Kurzfilme und die kulinarische Versorgung wurden ebenso zum Teil des Geschehens wie der Besuch der Anwohner_Innen und der Gäste von außerhalb. Auf diese Weise konnte drei Tage lang, auch für Außenstehende, die Plattform als lebendiges Kunstwerk begriffen werden.

FL